Köln-Altstadt Süd

Zum unbefleckten Herzen Mariens

Anschrift Kirche
Ulrichgasse 27-29
50678 Köln-Altstadt Süd

Von Schwelle zu Schwelle

Es dürfte kaum einen Baumeister geben, dessen Kirchen derart schlicht ausschauen, die aber in ihrer kontemplativen Durchdringung so schwer zu beschreiben sind. Kirchen des Architekten Emil Steffan entziehen sich dem direkten Zugriff. Der Gläubige muss sich ihnen über „Schwellen“, das heißt über einen mehrfach im Winkel geführten Weg von außen nach innen nähern. Erst im Übergang dieser kontemplativen Hürden wird der Kirchenraum zum geheiligten Raum. Vergleichbar einem mittelalterlichen Labyrinth ist der Altar dabei „die Mitte“, Endpunkt des umwegigen, aber immer sicher zum Ziel führenden Parcours. Diesem Prinzip folgt besonders eindrücklich die ehemalige Franziskaner-Klosterkirche Zum unbefleckten Herzen Mariens in Köln, ein Schlüsselwerk in Steffanns Kirchenbau.

  • Überblick
    Ort
    Köln-Altstadt Süd

    Bistum
    Erzbistum Köln

    Name der Kirche
    Zum unbefleckten Herzen Mariens

    Weihe
    1953 (Ingebrauchnahme)

    Architekt
    Emil Steffann

    Künstler
    Georg Goldkuhle, Elmar Hillebrand, EO Köpke, Wilhelm Teuwen, Toni Zenz
    Besonderheit
    Die Verwendung von Trümmermaterial und die Sakralisierung durch eine kontemplative Wegeführung zielen auf ein zeitloses Bauen, das lediglich die Möglichkeit von Bergen, Wohnen, Beten gestaltet.

    Nutzung
    ursprünglich Gemeinde- und Franziskanerklosterkirche, dann Zentrum für Diakonenausbildung, seit 2004 als "Gubbio" kirchliches Zentrum für Obdachlosenseelsorge

    Standort / Städtebau
    Der ehemalige Eingangsbereich der neugotischen Franziskanerkirche war nach 1945 durch eine mehrspurige Straße als Baugrund verloren gegangen. Die Zurücklegung der Bauflucht um 12 Meter begünstigte Steffanns Konzept eines winkelförmigen Grundrisses.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Grundriss

    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Grundriss

    Der Grundriss zeigt einen L-förmigen Flügelbau mit schräg am Außenwinkel angefügtem Pfortenhaus. Der südliche Flügel birgt einen Gemeinderaum, der nördliche den ehemaligen Chorraum der Franziskaner. Im Schnittpunkt der Flügel befindet sich der Chorraum mit diagonal ausgerichtetem Altar. Südlich des Gemeinderaums ist in die Flucht der Umfassungsmauern eine Beichtkapelle geschmiegt. Zwischen Beichtkapelle und Pfortenhaus spannt sich, ebenso innerhalb der Umfassungsmauern, ein schmaler Portikus (stützengetragene Vorhalle). Beichtkapelle und Eingangshalle wirken in Größe und im Verhältnis von geöffneter und geschlossener Wand wie Umkehrungen zueinander. Nördlich der Kirche schließt sich eine dreiflügelige Klosteranlage an.

     

    Außenbau

    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Außenbau | Foto: Elke Wetzig (Elya), GFDL oder CC BY SA 3.0

    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Foto: Elke Wetzig (Elya), GFDL oder CC BY SA 3.0

    Der Außenbau der Kirche wirkt wie aus mehreren sattelbedachten Kuben zusammengeschoben: Gemeinderaum und Beichtkapelle erscheinen als ein hoher Annex (Anbau) und nicht, wie es der Grundriss nahelegt, als ein integrierter Hauptraum der Kirche. Hinter Portikus und Pfortenhaus geht die Giebelwand eines hohen Kirchenschiffes auf. Giebelseitig sind ein großes Rundfenster und an der Langseite zwei schlicht profilierte Maßwerkfenster ausgespart. Aus Wand und Satteldach des Schiffes tritt ein Scheibenturm mit großen unverglasten Rundbogenfenstern hervor. Auf dem Pultdach sitzt ein schlichtes Metallkreuz.

     

    Innenraum

    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Innenraum | Foto: Florian Monheim

    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Foto: Florian Monheim

    Der Besucher betritt das Bauwerk über den Portikus, dort schwenkt er nach links. Der Innenraum wird über die sich nun als niedriger Emporenunterbau erweisende Beichtkapelle oder, nach erneuter Kehre rechts, direkt übers Gemeindeschiff erreicht. In beiden Fällen betritt man den Gemeinderaum quer zur liturgischen Achse. Ein über die gesamte Raumbreite geführter Bogen vermittelt – nach nochmaliger Kehre rechts – jetzt erst den Blick in den von den drei Schifffenstern im Winkel umgebenen Altarraum. Doch immer noch ist der Altar wegen seiner Diagonalstellung dem direkten Blick entzogen. Alle Wände und Stützen des Gemeinderaums sind steinsichtig. Das archaisierend konstruierte Dachwerk – die Sparren (aufsteigende Balken) liegen unter den Pfetten (Horizontalbalken) – liegt frei. Links des Altarraums erstreckt sich der höher gelegene, damalige Chorraum der Franziskaner. Seine weiß verputzten Wände und die grau gefassten Gliederungselemente (Gewölberippen, Gesimse, Blendprofile) geben einen neugotischen Chorraum zu erkennen.

  • Liturgie und Raum
    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Altarraum | Foto: Florian Monheim

    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Altarraum | Foto: Florian Monheim

    Der Altar der Marienkirche ist, wie eigentlich immer bei Steffann, exakt geostet. Gegen alle Tradition ist jedoch, dass der Altar sich allernächst des Eingangs befindet. Der Weg zu den Bänken führt zunächst an ihm vorbei und dann über Eck wieder von ihm fort. Um sich dann im Kirchenschiff sitzend wieder – ob in der individuellen Andacht oder im gemeinschaftlichen liturgischen Geschehen – innerlich dem Altar anzunähern. Dieser ist jedoch nicht in die gewohnte Achse gesetzt, sondern aus dieser heraus – zwischen dem Schiff und dem damaligen Franziskanerchor vermittelnd – über Eck gedreht und damit einer einfachen Deutung entzogen. Oder, wie es Steffann ausgedrückt hat, um „von Schwelle zu Schwelle in die Mitte“ zu führen. Heute dient die Kirche als Zentrum der Obdachlosenseelsorge, womit auch der ehemalige „Franziskanerchorraum“ für kleinere liturgische Veranstaltungen genutzt wird.

  • Ausstattung
    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Heiliggeist-Taube | Foto: Florian Monheim

    Köln-Altstadt Süd | Zum unbefleckten Herzen Mariens | Heiliggeist-Taube | Foto: Florian Monheim

    Die Kirche ist gemäß franziskanischem Armutspostulat sparsam ausgestattet. Über dem Altar „schweben“ in drei übereinander geordneten Ringen der Radleuchter mit zwei hängenden Kreisen aus nackten Glühbirnen sowie eine Heiliggeist-Taube. Wilhelm Teuwen gestaltete 1954 die weißen Riemchenfenster: „Bruder Sonne“ und „Schwester Mond“ nehmen im östlichen Chorfenster Bezug auf den Sonnengesang des heiligen Franziskus. Das Immaculatafenster (1954) von EO Köpke im Bereich des Kryptenabgangs verweist auf den in Köln bestatteten Franziskanergelehrten Johannes Duns Scotus (1266-1308). Der Bronze-Tabernakel ist von Toni Zenz, ein Schmerzensmann in der Krypta von Elmar Hillebrand und der 1900 gemalte Kreuzweg von Georg Goldkuhle.

  • Von der Idee zum Bau

    Köln-Altstadt Süd | Franziskanerklosterkirche Ulrichgasse um 1900 | Foto: Provinzarchiv der deutschen Franziskaner, Paderborn

    Ausgangspunkt für die Kirche war die im Zweiten Weltkrieg zerstörte neugotische Klosterkirche „Von den heiligen Drei Königen“, erbaut 1893-1900 von Karl Schellen.
    Emil Steffann war bereits 1947 vom ansässigen Franziskanerkonvent bezüglich eines Wiederaufbaus bzw. Neubaus angesprochen worden. Der Bau der Kirche erfolgte von 1951 bis 1952. Dabei wurden erhaltene neugotische Bauteile für den ehemaligen Chor der Franziskaner, den Altarraum und das Gemeindeschiff sowie darüber hinaus ausschließlich Trümmermaterialien verwendet. Das neue Mauerwerk wurde in der Art des klassischen opus caementicium (Zementfüllwerk) errichtet, die Armierungen erfolgten auch mittels Metalltrümmer. Als Stützen des steinernen Tischaltares dienten Säulentrommeln der alten Kirche. Das Pfortengebäude der Kirche wurde 1953 in Gebrauch genommen. Der dreiflügelige Klostertrakt entstand 1953-58.

  • Der Architekt Emil Steffann

    Armut, handwerkliche Perfektion und Sinn sind die drei Axiome, innerhalb derer sich das Steffannsche Bauschaffen bewegt. Emil Steffann (1899-1968) studierte ursprünglich Bildhauerei. Während eines Arbeitsaufenthaltes in Assisi konvertierte er 1926 zum katholischen Glauben. Beeindruckt von der franziskanischen Architektur, welche für Steffann zeitlos und VOR allem Stil war, beschloss er, sich fortan ausschließlich der Architektur und speziell dem Sakralbau zu widmen. Begegnungen mit Walter Gropius und Rudolf Schwarz führten zu einem Bauen, das zwar immer schlicht und überschaubar wirkt, dem aber eine komplexe spirituelle Durchdringung innewohnt.

    Die im Zuge des Wiederaufbaus des lothringischen Boust 1942 errichtete „Notscheune“ war nicht bloß eine aus politischer Not getarnte Kirche, sondern sie gab genau DAS Maß an Bergung, Schwelle und Gestalt, das Kirchen wie Scheunen geben müssen. Der Bau ist heute Ruine. Aber so sagte Steffann angesichts der Zerstörungen des Krieges: „Gott lebt nur mehr geduldet unter uns, wir können […] seine Kirchen nur noch als Tabernakel ansehen, d.h. als Zelte des Allerhöchsten, als Zufluchtsstätten mit einer bloß vorübergehenden Aufgabe, nach deren Erfüllung sie der Zerstörung anheimfallen und weniger sind als Nichts.“ Steffanns Kirchen werden erst und nur geheiligt durch die Anwesenheit einer im Glauben tätigen Seele. Ohne diese verlieren sie ihren Daseinszweck; sie sind nicht für die Ewigkeit bestimmt.

    Steffann sah sich grundsätzlich der Armut (im Sinne von Bescheidung) verpflichtet. Die Verwendung von Trümmermaterial war ihm noch in Wirtschaftswunderzeiten eine Sache von Grundsatz. Es galt „die ganz unzeitgemäße Aufgabe zu erfüllen, auf den Trümmerstätten und Schutthalden unserer Zeit von den Menschen verworfene und verachtete Kostbarkeiten … aufzulesen, die fortzuschaffen den angestrengtesten Bemühungen bisher noch nicht […] gelang.“ Die Marienkirche in Köln nimmt ausdrücklich Bezug auf Henri Matisse’ Chapelle du Rosaire der Dominikanerinnen in Vence (1949-51). Die dortige Diagonalstellung des Altares war von Anfang an für die Messfeier versus populum konzipiert.

  • Literatur (Auswahl)
    • ars sacra. Kirchliche Kunst im Erzbistum Köln, Ausstellungskatalog Köln 1964, XXVIII, XXXI, Kat. 370.
    • Andreas Baumerich: Die lebendige Spur. Vom Umgang mit gotischer Sakralarchitektur in Deutschland nach 1945 (Kölner Architekturstudien 78), Köln 2003, Bd. 1, 348-366.
    • Gisela Fleckenstein: Die Franziskaner im Rheinland 1875–1918 (= Franziskanische Forschungen, Heft 38) Werl 1992, Abb. 5 (= Klosterkirche und Kloster der Franziskaner in Köln, Ulrichgasse, erbaut 1894).
    • Tino Grisi: „Können wir noch Kirchen bauen?“/“Possiamo ancora construire chiese?“. Emil Steffann und sein/e il suo Atelier, Regensburg 2014.
    • Anton Henze: neue kirchliche kunst, Recklinghausen 1958, 203f.
    • Kai Kappel: Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen, München und Berlin 2008, 48 f., 156 f. und 223-232.
    • Hiltrud Kier: Kirchen in Köln, Köln 2000, 184-187.
    • Conrad Lienhardt (Hg.): Emil Steffann (1899-1968). Werk, Theorie, Wirkung, Regensburg 1999, 25, 55, 68 f., 105 und 124.
    • Ulrich Pantle: Leitbild Reduktion. Beiträge zum Kirchenbau in Deutschland von 1945-1950, Regensburg 2005, 189 f.
    • Werner Schäfke: Kölns Weg in die Gegenwart: Vom Ende des Kaiserreichs bis ins 21. Jahrhundert, Köln 2020, S. 102.
    • Emil Steffann, Ausstellungskatalog Bielefeld 1980, 38 f., 94 f. und 124.
    • Willy Weyres: Neue Kirchen im Erzbistum Köln 1945-1956, Düsseldorf 1957.

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Markus Juraschek-Eckstein M. A., Bergisch Gladbach (Beitrag online seit 03/2016 / aktualisiert 10/2021 M. Klauser)

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