München

St. Johann von Capistran

Anschrift Kirche
Gotthelfstraße 3
81677 München

Symmetrisch kann jeder

Von außen hat die Münchener Kirche St. Johann von Capistran etwas Klassisches: Der absolut symmetrisch gehaltene Rundbau, den nochmals ein Umgang einfasst, erinnert an das antike Rom und sein Pantheon. Doch auch wenn der Münchener Innenraum diese formale Strenge zunächst fortzuführen scheint, enthüllt er doch rasch eine subtile Spannung. In den Ring der Außenmauer ist ein innerer, aus der Mitte gerückter Ring eingeschrieben. Die – wie der Architekt Sep Ruf sie nannte – „Lichtkuppel“ wiederum liegt über den Altar im gedachten Zentrum der beiden äußeren Kreise. Damit weitete Ruf die am Außenbau selbstgewählten Regeln einer strengen, für alle Blickrichtungen zwingenden Symmetrie. Nach innen entfaltete er meisterlich eine fast heiter zu nennende, nur noch einzelnen Achsen verpflichtete Raumordnung.

  • Überblick
    Ort
    München

    Bistum
    Erzbistum München und Freising

    Name der Kirche
    St. Johann von Capistran

    Weihe
    1960 (26. Juni)

    Architekt
    Sep Ruf

    Künstler
    Josef Henselmann, Heinrich Kirchner, Karl Knappe, Josef Oberberger, Franz Rickert, M. Bernardine Weber
    Besonderheit
    Für die Münchener Kirche verband Sep Ruf 1960 antike Formenstrenge, moderne Materialehrlichkeit und liturgische Reformgedanken zu einer räumlichen Einheit.

    Nutzung
    Pfarrkirche

    Standort / Städtebau
    In der sog. Parkstadt, einer Siedlung der mittleren 1950er Jahre im Osten von München, markiert St. Johann von Capistran die Südostecke. Das Ensemble aus Kirchenbau, Pfarramt und Pfarrheim wird von der Gotthelfstraße im Osten und der Töginger Straße im Süden begrenzt.

  • Beschreibung

    Grundriss

    München | St. Johann von Capistran | Grundriss

    München | St. Johann von Capistran | Grundriss

    Der Grundriss der Kirche ist aus drei Kreisen konstruiert: Ein Kranz von 22 „Pendelsäulen“ umfasst den zweiten kleineren Kreis der Außenmauer, in den sich das dritte, aus der Mitte gerückte Rund der inneren Mauer fügt. Damit ergibt sich im Osten des Raums – zwischen dem inneren und äußeren Mauerring – ein Freiraum für Beichtstühle, Sakristei und mittig die „Taufkapelle“ mit Orgel. Im Südosten ist der Kirche als Wandscheibe ein Glockenträger zur Seite gestellt.

     

    Außenbau

    München | St. Johann von Capistran | Außenbau | Foto: Philipp Stoltz, München

    München | St. Johann von Capistran | Außenbau | Foto: Philipp Stoltz, München (2017)

    In eine parkartige Grünfläche sind drei freistehende ziegelsteinsichtige Baukörper eingebettet: im Norden das Pfarrheim, in der Mitte der Kirchenbau, im Süden das Pfarramt. Sie werden verbunden durch eine Mauer, die vom Pfarrheim im Norden ausgehend den Kirchenbau hinterfängt, auf den Glockenträger mit Durchgang hinführt und zum umfriedeten Grünbereich hinter dem Pfarramt überleitet. Verglichen mit den quaderförmigen flachgedeckten Gemeindebauten sticht die hoch aufragende, zylindrische Kirche mit ihrer zur Mitte hin leicht ansteigenden Dachform hervor. Ihr weit vorkragendes Dach wird von 22 schlanken „Pendelsäulen“ umfasst. Nach Osten werden die backsteinsichtigen Wände im gedachten Erdgeschoss rhythmisch von türgroßen rasterförmige Öffnung durchzogen. Im Westen dagegen bricht das äußere Rund wandhoch für einen Glasschlitz mit dem Hauptportal auf.

     

    Innenraum

    München | St. Johann von Capistran | Innenraum | Foto: Karin Berkemann, Büro kirchenkunst.info

    München | St. Johann von Capistran | Innenraum | Foto: Karin Berkemann, Büro kirchenkunst.info (2012)

    Betritt man die Kirche durch den Umgang und das Hauptportal im Osten, erschließt sich ein weiter fensterloser ziegelsteinsichtiger Raum, der über das mittige Oberlicht erhellt wird. Den gesamten Raum überspannt eine (unter Aussparung der Mitte) holzverkleidete, durch eine umlaufende Glasfuge von der Mauer getrennte „Lichtkuppel“. So nannte Ruf seine Stahlfachwerkkonstruktion mit einem inneren Zugring und äußeren, nochmals im Boden verspannten „Zug- bzw. Pendelsäulen“. Vom Portal aus gesehen, sind die liturgischen Orte auf einer Achse gen Osten angeordnet. Die zweifach gestufte Altarinsel trägt den Altarblock. Hinter ihm, am Übergang zum Taufort, ist der Tabernakelaufbau um eine weitere Stufe erhöht. Die Innenwand wird hinter dem Tabernakel wie durch ein Portal aufgebrochen, um den Taufstein aufzunehmen. Darüber, wieder durch eine rasterförmig Maueröffnung verdeckt, ist die Orgel (C. Schuster & Söhne, München) verborgen. Sechs Bankblöcke umfangen die Altarinsel von drei Seiten, eine weitere Bank folgt umlaufend dem Rund der Innenwand.

  • Liturgie und Raum
    München | St. Johann von Capistran | Taufstein | Foto: Karin Berkemann, kirchenkunst.info

    München | St. Johann von Capistran | Taufstein | Foto: Karin Berkemann, kirchenkunst.info (2012)

    Bei St. Johann von Capistran ordnete Ruf die Funktion scheinbar vielfach der Form unter. Statt z. B. Fenster in die Außenmauer zu brechen, um Licht in die Sakristeiräume zu lassen, wählt er zurückhaltende, ornamental wirkende Rasteröffnungen. Auch im Inneren öffnet er die Wand nur für einzelne gitterartige Durchbrüche, um z. B. den Schall der hinter der Mauer verborgenen Orgel in den Hauptraum zu lassen. Doch nutzte Ruf diese formale Strenge ebenso konsequent, um den Raum seiner liturgischen Sinnstiftung anzunähern: der gemeinschaftlichen Versammlung um den Altar. Noch einige Jahre vor den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) verband Ruf damit die Wege- mit der Zentralkirche: Die wichtigen liturgischen Stationen reihte er auf einer West-Ost-Achse, die Bänke wiederum scharte er um den kaum erhöhten Altar. Diese ausgefeilte Raumordnung beeinflusste der Münchener Theologe Aloys Goergen (1911-2005), der seinerseits dem Reformkreis nahestand. Als Professor für Philosophie der Ästhetik lehrte Goergen wie Ruf an der Akademie der Bildenden Künste München. Die von beiden gestaltete innovative Lösung musste nach dem Konzil nur noch um einen Ambo ergänzt werden.

  • Ausstattung
    München | St. Johann von Capistran | Tabernakel | Foto: Karin Berkemann, kirchenkunst.info

    München | St. Johann von Capistran | Tabernakel | Foto: Karin Berkemann, kirchenkunst.info (2012)

    Im Außenbereich verweist eine Granitskulptur des Bildhauers Josef Henselmann (1898-1987) auf den Namenspatron der Kirche. Beim Eintreten passiert man das Portal mit Bronzereliefs des bayerischen Bildhauers Heinrich Kirchner (1902-84), die – wie die meisten hier vertretenen Kunstwerke – alt- und neutestamentliche Motive in Beziehung bringen. Darüber fügte der bayerische Maler und Zeichner Josef Oberberger (1905-94) ein hochrechteckiges Glasbild zum Thema „Wurzel Jesse“. Ebenso wie die bauliche Hülle stammen auch viele Ausstattungdetails wie Altarblock, Taufstein, liturgisches Gerät, Weihwasserbecken oder Ewiglicht aus der Hand des Architekten. Den feuervergoldeten Tabernakel schuf der Gold- und Silberschmied Franz Rickert (1904-91), der wie Ruf an der Akademie der bildenden Künste München lehrte. Nicht zu vergessen sind die hölzerne Marienskulptur der Bildhauerin und Ordensschwester M. Bernardine Weber (1919-2012) und die 1969 ergänzten, bronzenen Kreuzwegtafeln des bayerischen Bildhauers Karl Knappe (1884-1970). Die meisten der hier genannte Künstler lebten und arbeiteten nicht nur in Bayern, sondern waren auch – ebenso wie Ruf und Georgen – verbunden mit der Akademie der Bildenden Künste München.

  • Von der Idee zum Bau
    München | St. Johann von Capistran | Kreuzweg | Foto: Philipp Stoltz, München

    München | St. Johann von Capistran | Kreuzweg | Foto: Philipp Stoltz, München (2017)

    In München-Bogenhausen war der Architekt Sep Ruf Mitte der 1950er Jahre in der glücklichen Lage, sowohl die entstehende „Parkstadt“ als auch die dazugehörige Kirche St. Johann von Capistran entwerfen zu können. Für dieses in München erste größere Wohnbauprojekt nach 1945 bettete er Ein-, Mehrfamilien- und Reihenhäuser in eine von Alfred Reich gestaltete Grünanlage. Als die 1956 fertiggestellte Siedlung auch eine neue katholische Gemeinde erforderlich machte, wurde 1957 eine Kuratie begründet und zugleich Ruf mit dem Kirchenbau beauftragt. Schon kurz darauf konnten 1958 das Pfarrheim fertiggestellt, am 12. April 1959 der Grundstein der Kirche gelegt und am 26. Juni 1960 deren Weihe gefeiert werden. Als Namenspatron wählte man den italienischen Kreuzzugprediger Johannes Capistranus (1386-1456). 1990 musste man das Pfarrheim wegen Bauschäden abtragen und in der alten Form wiedererrichten. Die Kuratie St. Johann von Capistran wurde 1963 zur Pfarrei erhoben, die heute mit St. Rita und St. Klara einen Pfarrverband bildet.

  • Der Architekt Sep Ruf
    München | St. Johann von Capistran | Außenbau | Foto: Philipp Stoltz, München

    München | St. Johann von Capistran | Außenbau | Foto: Philipp Stoltz, München (2017)

    Am 9. März 1908 wurde Sep (Franz Joseph) Ruf in München geboren, wo er auch sein Architekturstudium absolvieren und sein erstes Büro gründen sollte. Bis er als Soldat endgültig an die russische Front abberufen wurde, war er vor allem im Wohnungsbau tätig. Ab Mitte der 1950er Jahre reüssierte Ruf mit prominenten öffentlichen Projekten wie dem Wiederauf-/Neubau der Münchener Maxburg (1956, mit Theo Pabst), dem Deutschen Weltausstellungspavillon in Brüssel (1958, mit Egon Eiermann) oder dem Bonner Kanzlerbungalow (1964). Zudem entfaltete er eine breite Wirkung durch seine Professur für Architektur und Städtebau (1953-72) an der Akademie der Bildenden Künste München.

    Über Einzelprojekte hinaus war Ruf ein gefragter Städtebauer und -planer, so z. B. in Nürnberg, München, Fulda und Bonn. Als Vertreter einer „gemäßigten Moderne“ zog er viele Anregungen aus dem Wiederaufbau von und der Auseinandersetzung mit historischen Bauten. St. Johann von Capistran (1960) gilt als Höhepunkt seines kirchlichen Werks. Zuvor hatte er beispielsweise schon beim Wiederaufbau der Münchener Christkönigkirche (1950) das Motiv der holzverkleideten Kuppel durchgespielt. Viele Gestaltungselemente der Kirche St. Johann von Capistran griff Ruf 1968 in Fulda wieder für die kuppelüberwölbte zentralisierende Priesterseminarkapelle auf, überführte sie hier aber in eine größere formale Strenge. Sep Ruf verstarb am 29. Juli 1982 im Alter von 74 Jahren in München.

  • Literatur (Auswahl)
    • Andreas Hildmann/Norbert Jocher: Die Münchner Kirchen. Architektur, Kunst, Liturgie, Regensburg 2008.
    • Anton Mayer/Lothar Altmann: St. Johann von Capistran, München (Kleine Kunstführer 720), Regensburg 2003.
    • Irene Meissner: Sep Ruf 1908-1982, Berlin 2013 [zugl. Diss., Berlin, 2012].
    • Winfried Nerdinger/Irene Meissner (Hg.): Sep Ruf 1908-1982 – Moderne mit Tradition, München u. a. 2008.
    • Robert Rechenauer: Warum bei der Weihe von St. Johann von Capistran der Ambo fehlte.
      Sep Ruf und die „Liturgische Bewegung“, auf: Robert Rechenauer Architekten. Journal 2012, 2 [www.rechenauer-architekten.de/journal/ambo-von-st-johann-von-capistran, Abruf: 20. Januar 2017].
    • Religiana.com: St. John of Capistran Church, Munich
    • Wolfgang Jean Stock (Hg.): Europäischer Kirchenbau 1950-2000, München u. a. 2003.
    • Nachlass/Privatarchiv Sep Ruf, Gmund am Tegernsee, Planunterlagen sowie mündliche Auskünfte von Elisabeth Ruf zu ausgewählten Sakral- und Profanbauten.
    • Willy Weyres/Otto Bartning: Kirchen. Handbuch für den Kirchenbau, München 1959.


    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt, sie werden beim Klick auf das jeweilige Bild sichtbar.

Text: Dr. Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald (Beitrag online seit 01/2017)

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