Neu-Ulm

St. Johann Baptist

Anschrift Kirche
Johannesplatz 1
89231 Neu-Ulm

„Unseren Glauben will ich bauen!“

Wenn der Architekt Dominikus Böhm bei seiner Erweiterung der Kirche St. Johann Baptist davon spricht, dass er „unseren Glauben […] bauen“ wolle, klingt das reichlich ambitioniert. Von außen betrachtet wirkt die katholische Pfarrkirche von Neu-Ulm ein wenig gedrückt, fast zurückhaltend; entfaltet in ihrem Inneren aber eine große Weite und Wärme. Trotz manchen Wandels ist bis heute besonders in vielen räumlichen Details ablesbar, was der Architekt hier 1927 unter dem Leitwort des „betenden Raumes“ als Gesamtkunstwerk geschaffen hat: In Verbindung von traditionellen und expressionistischen Elementen glückte Böhm die bau-künstlerische Inszenierung dessen, was in dieser Kirche bis heute gemeinsam wie privat geglaubt, gebetet und liturgisch gefeiert wird: Taufe – Eucharistie – Auferstehung.

  • Überblick
    Ort
    Neu-Ulm

    Bistum
    Bistum Augsburg

    Name der Kirche
    St. Johann Baptist

    Weihe
    1927 (8. Oktober)

    Architekt
    Dominikus Böhm

    Künstler
    Ludwig Ade, Matthias Bayer, Hans Bühler, Dominikus Böhm, Reinhold A. Grübl, Leopold Hahn, Fritz Müller, Paul Seiler, Hans Wissel
    Besonderheit
    Für seine christozentrische Raumgestaltung griff Dominikus Böhm auf expressionistische, die Gotik rezipierende Pfeiler- und Gewölbeformen sowie eine ausgeklügelte Lichtführung zurück.

    Nutzung
    Pfarrkirche

    Standort / Städtebau
    St. Johann Baptist zählt gemeinsam mit dem Rathaus und der einige Meter südwestlich gelegenen ev. Petruskirche nebst Edwin Scharff Museum zu den markanten Hauptbauten des Neu-Ulmer Stadtkerns.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Grundriss

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Grundriss

    St. Johann Baptist zeigt als dreischiffige Staffelhalle einen reich gegliederten Grundriss: Im Westen ist ein Querriegel mit fünf Eingangsportalen vorgelagert. Diese führen in die Vorhalle, die zwei Andachtsräume und über sich die Orgelempore aufnimmt. Über sechs Joche hinweg verjüngen sich die über Eck gestellten Pfeiler zum eingezogenen Chor hin, der einen halbrunden Abschluss aufweist. Die beiden Seitenschiffe münden in zwei Kapellen. Ihnen sind auf der Südseite der Turm und die Sakristeiräume, auf der Nordseite die Sakristei und der Kryptazugang angefügt. Diese beiden Kapellen werden durch zwei weitere, deutlich hervortretende Kapellen fortgeführt: Annexbauten auf rundem Grundriss, deren südlicher Teil außen rechtwinklige Wände zeigt.

     

    Außenbau

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Foto: Dguendel, GFDL oder CC BY SA 3.0

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Foto: Dguendel, GFDL oder CC BY SA 3.0

    Der Westriegel tritt beherrschend über die Breite des eigentlichen Schiffs hinaus. Wechselnde Lagen von Ziegel- und Kalksteinmauerwerk, teils aus Abbruchmaterial der Ulmer Befestigungsanlagen, verleihen der Kirche eine archaische Monumentalität. Dynamisch zielen die niedrigeren Seitenbauten auf den erhöhten Mittelteil, den eine Kreuzigungsgruppe von Paul Seiler bekrönt. Eine Vorhalle mit drei spitzbogigen Arkaden, in denen sich (von links nach rechts) Figuren von Otto, Johannes dem Täufer und Elisabeth (ebenfalls von Seiler) finden, erschließt drei Hauptportale. Auf dem Vorplatz verweist rechts noch ein von Bildhauer Fritz Müller geschaffener Löwe auf den Evangelisten Markus. Nach außen lässt das Schiff deutlich die Faltung der Mauersegmente mit ihren schmalen Fensterbahnen erkennen. Sie setzen dem wuchtigen Westbau eine schwingende Leichtigkeit entgegen. Drei Bänder aus Backsteinziegeln gliedern die aufgefalteten verputzten Wände des Schiffs. Südlich davon erhebt sich die Auferstehungskapelle auf rundem Grundriss. Ihre ebenfalls im Zickzack gefalteten Wandsegmente werden von einem spitz aufragenden Dachkegel mit bunten Ziegeln bekrönt. Dass Böhm eigentlich die bestehende Garnisonskirche erweitert hat, wird nur noch an deren Ostteil deutlich: An Chorraum und Turm, den Böhm mit einem Pyramidendach versah, sind noch neoromanische Rundbogenfriese erhalten.

     

    Innenraum

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Foto: Ramessos, PD/gemeinfrei

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Foto: Ramessos, PD/gemeinfrei

    Wer die Kirche durch eines der Westportale betritt, den umfängt die lichte Weite und helle Farbgebung. Von der gewölbten Vorhalle unter der Empore richtet sich der Blick auf den erhöhten Chor- und Altarbereich, den Onyxfenster in mystisches Licht tauchen. Das Mittelschiff wird durch eine Rabitz-Konstruktion überspannt: ein an die Gotik erinnerndes Netzgewölbe. Diese Gewölbeform setzt sich im Chorraum fort, verleiht dem Gesamtraum ein einheitliches Gepräge und verjüngt sich zugleich zum Altar hin. Die Seitenschiffe weisen Springgewölbe auf. An das südliche Seitenschiff schließt sich zunächst eine kleinere Kapelle, dann die schachtartige Taufkapelle an. Durch deren runden Okulus fällt „himmlisches Licht“ über die gezackte Wand herab in den ansonsten fensterlosen Raum. Gegenüber auf der Nordseite liegt wiederum eine kleinere Durchgangskapelle, die in die Auferstehungskapelle mündet. Ihre Wand zeigt sich nach innen rund (nach außen gezackt) und hebt so den Betrachter über die dynamische Bodengestaltung empor.

  • Liturgie und Raum
    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Seitenschiff | Foto: Hpschaefer, www.reserv-art.de, CC BY SA 4.0

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Seitenschiff | Foto: Hpschaefer, www.reserv-art.de, CC BY SA 4.0

    Dominikus Böhm setzte in der Neu-Ulmer Pfarrkirche den christozentrischen Raumgedanken um, wie ihn der Gladbecker Priester Johannes van Acken 1921 in der Programmschrift „Christozentrische Kirchenkunst“ ausgeführt hatte. Darauf reagierte Böhm direkt und fertigte (mit Martin Weber) zwei Idealentwürfe, die der zweiten Auflage von van Ackens Heft beigefügt wurden. Auch den Plan zur Neu-Ulmer Kirche deutete Böhm im Sinn der Christozentrik: Der gesamte Raum ist ohne störende Kunst- und Zierwerke auf den Altarraum hin ausgerichtet, was durch die schräg gestellten Pfeiler des Hauptschiffs, die gefalteten Wände des Mittelschiffs und die sich zum Chorraum hin verjüngenden Gewölbe und Bögen unterstützt wird. Chor und Schiff sind durch die gleiche Gewölbeform miteinander verbunden, wodurch der Altar und die Gläubigen eng aufeinander bezogen werden. Schon 1927 war der Hochaltar – wie seit den 1980er Jahren Volksaltar und Ambo – in Richtung der Gemeinde vorgerückt.

    Besonders die Lichtführung nutzte Böhm, indem der Chor als Ort des Messopfers ohne Fenster indirekt beleuchtet wurde. Diese diffuse mystische Stimmung markierte den in der Liturgie vollzogenen Übergang zum Transzendenten, an dessen Schwelle der Altar stand – ähnlich wie auch Rudolf Schwarz von der „Welt vor der Schwelle“ sprach. Die in den 1980er Jahren eingesetzten Onyxscheiben intensivierten diese Wirkung sogar noch. In besonderer Weise schlug sich Böhms Leitgedanke vom „Bauen unseres Glaubens“ in der Auferstehungs- und in der Taufkapelle nieder. Die schachtartige Lichtöffnung der Taufkapelle, aus der herab eine Taube auf den Taufstein zu schweben scheint, verkörpert das im Sakrament wirksame himmlische Licht. In der Auferstehungskapelle hingegen will die turbinenhafte Gestaltung von Bodenbelag, Wänden und Kegeldach den Beter fast in die Höhe ziehen und damit das Geheimnis der Auferstehung versinnbildlichen.

  • Ausstattung
    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Chorraum | Foto: Daniel Greb

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Chorraum | Foto: Daniel Greb

    Vom Gesamtkunstwerk Böhms blieb durch Krieg und Umgestaltungen wenig erhalten. So ist das Gestühl im Schiff noch ein vom Architekten entworfenes Originalstück. Ursprünglich war der Chor dem Kriegergedächtnis gewidmet und durch ein Altarretabel vom Schiff abgetrennt. Seit den 1980er Jahren finden sich hier ein Bronze-Hängekreuz mit Onyxkorpus, die Ewig-Licht-Stele sowie der Tabernakel als Stele mit Lamm von Reinhold A. Grübl, der auch die abstrakte Onyxverglasung, den Kalkstein-Volksaltar und den bronzenen Ambo schuf. Über den Seitenaltären am Chorbogen sind links die Figur des lehrenden Johannes (Ludwig Ade) und rechts die segnende Muttergottes (1944 gestiftet, vermutlich K(athi) Hock) angebracht.

    Die bunt verglasten Fensterbahnen der Seitenschiffe, entworfen von Reinhold A. Grübl, beschreiben das Leben Johannes des Täufers anhand von Versen aus dem Lukasevangelium. Ebenfalls in den Seitenschiffen befindet sich der Terrakkotta-Kreuzweg (1950) von Ludwig Ade. Über das südliche Seitenschiff gelangt man zunächst in die Pietá-Kapelle mit der gleichnamigen Darstellung von Matthias Bayer (1962 nach gotischem Vorbild). Den Taufstein in der Taufkapelle schuf Fritz Müller, den Osterleuchter wiederum Grübl, die Heilig-Geist-Taube stammt von Hans Wissel. Auf der Nordseite öffnet sich die vordere Seitenkapelle mit einem Bronzekreuz von Hans Bühler. In der anschließenden Auferstehungskapelle ist eine Figur des segnenden Auferstandenen von Leopold Hahn verortet.

  • Von der Idee zum Bau

    Neu-Ulm | St. Johann Baptist | Foto: Dguendel, GFDL oder CC BY SA 3.0

    Neu-Ulm entstand im frühen 19. Jahrhundert als eigenständige Gemeinde aus dem Dorf Schwaighofen, nachdem man mit den napoleonischen Gebietsreformen nunmehr die Stadt Ulm links der Donau den Württembergern und das rechte Donauufer den Bayern zugesprochen hatte. Ab 1841 wurden Ulm und Neu-Ulm zur Festung ausgebaut und 1857-60 entstand eine neoromanische Garnisonskirche, die im frühen 20. Jahrhundert rasch zu klein für die wachsende Stadt wurde. Daher gründete man 1904 einen Kirchbauverein. An einem ersten Wettbewerb beteiligte sich Dominikus Böhm mit zwei Entwürfen, deren letzterer einen Zentralraum nach frühchristlichem Vorbild zeigte. Da ein Neubau jedoch an den Finanzen scheiterte, sollte Böhm 1921 die bestehende Garnisonskirche erweitern.

    Nachdem der Westbau 1922 errichtet worden war, stockten die Arbeiten. Böhm wandelte seinen Entwurf vom basilikalen zum Hallenschema ab, behielt Chor, Apsis und Turm der Vorgängerkirche bei. Von April 1926 bis Januar 1927 konnten die Pläne umgesetzt und der Bau am 8. Oktober 1927 geweiht werden. Nach Kriegszerstörungen im März 1945 wurde abermals Böhm beauftragt, der den Vorkriegszustand größtenteils originalgetreu wiederherstellte. Einzig bei der Lichtführung musste er sich den Gemeindewünschen beugen: Seitenschifffenster wurden verbreitert, der bis dato fensterlose Chor erhielt Glasbahnen, die in den 1980er Jahren wieder durch dunklere Onyxschreiben ersetzt wurden. Am 29. Juli 1951 wurde die Kirche neu geweiht. In den 1970er Jahren kam noch die Krypta im (neo)romanisch anmutenden Stil hinzu, die unter dem Chorraum liegt, über die nördliche Durchgangskapelle zu erreichen ist und für Wortgottesdienste genutzt wird.

  • Der Architekt Dominikus Böhm

    Portrait Dominikus Böhm | Foto: Hugo Schmölz

    Dominikus Böhm wurde am 23. Oktober 1880 in Jettingen geboren und erhielt seine Ausbildung zum Bautechniker von 1896 bis 1900 an der Baugewerkschule Augsburg. Nach Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros und vertiefenden Studien bei Theodor Fischer in Stuttgart wurde Böhm 1908 an die Technischen Lehranstalten Offenbach berufen. Hier konnte er von seinem 1910 gegründeten Büro aus erste (Profan-)Bauten errichten. Mit Martin Weber betrieb er ab 1921 das Atelier für Kirchenbaukunst in Offenbach. Erster Höhepunkt seines Schaffens war die Kirche St. Peter und Paul zu Dettingen am Main, die Böhm hohe Anerkennung verschaffte. In den Folgejahren strebte er nach neuen Raumlösungen im Sinn des christozentrischen Gedankens und der Liturgischen Bewegung, indem er expressionistische Formen und neue Baumaterialien verband.

    Böhms Schwerpunkt verlagerte sich ab 1926 ins Rheinische, wo er Professor für Sakrale Kunst an den Kölner Werkschulen wurde. Etwa zeitgleich zu Neu-Ulm entstanden 1925/26 Christkönig in Bischofsheim, 1927/28 Christkönig in Leverkusen-Küppersteg, 1928-32 die Krankenhauskirche St. Elisabeth, 1930/32 St. Engelbert in Köln-Riehl und 1930-40 St. Wolfgang in Regensburg-Kumpfmühl. Im Profanbau tat sich Böhm vor allem im oberschlesischen Hindenburg hervor, wo er u. a. ein Sparkassengebäude, eine Gewerbliche Schule und eine Kirche entwarf. Nach dem Zweiten Weltkrieg verwirklichte er vermehrt Projekte mit seinem Sohn Gottfried, der nach dem Tode des Vaters am 6. August 1955 das gemeinsame Werk fortführte.

  • Literatur (Auswahl)
    • Ralf van Bühren: Moderner Kirchenbau als Bedeutungsarchitektur. Die Lichtkonzeption Dominikus Böhms als Ausdruck einer mystagogischen Raumidee, in: Hans Körner/Jürgen Wiener (Hg.): „Liturgie als Bauherr“? Moderne Sakralarchitektur und ihre Ausstattung zwischen Funktion und Form, Essen 2010, 241-256.
    • Bernadette Goebel: St. Johann Baptist in Neu-Ulm, Lindenberg 2012.
    • Helga Gutbrod (Hg.): Prachtvoll und eigenartig. Dominikus Böhms Kirche St. Johann Baptist in Neu-Ulm, Katalog, Edwin Scharff Museum, 6. März bis 25. April 2004, Biberach 2004.
    • Christian Kayser: Überraschend viel Baugeschichte. Dominikus Böhm und die 1922 erbaute Stadtpfarrkirche St. Johannes Baptist in Neu-Ulm, in: Denkmalpflege-Informationen 157, 2014, 20-24.
    • Manuela Klauser: Der betende Raum. Dominikus Böhms Kirche St. Johann Baptist in Neu-Ulm. Ein Schlüsselbau der modernen Sakralarchitektur, Lindenberg 2010.
    • Georg Lill: Zum modernen katholischen Kirchenbau, in: Der Baumeister 25.1927, 249-273.
    • Gesine Stalling: Studien zu Dominikus Böhm, mit besonderer Berücksichtigung seiner „Gotik“-Auffassung, Frankfurt am Main 1974.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Daniel Greb, Würzburg (Beitrag online seit 02/2017)

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