Würzburg

St. Johannis

Anschrift Kirche
Hofstallstraße 5
97070 Würzburg

Wie zwei frische Triebe …

In unmittelbarer Nähe der weltbekannten Würzburger Residenz erheben sich zwei schlanke, betonfarbene, extrem spitz gen Himmel ragende Türme: Sie gehören zum Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg weitenteils zerstörten St. Johanniskirche. Bei näherem Hinsehen scheinen sie geradezu aus dem von ihnen eingeschlossenen, teilerhaltenen Turm des neugotischen Vorgängerbaus zu sprießen – wie zwei frische Triebe aus einer alten Wurzel. Diese ebenso kühne wie mahnende Anlage war in der vom Krieg aufs Schwerste getroffenen Hauptstadt Unterfrankens zunächst nicht unumstritten. Heute aber zählt sie, so der Denkmalpfleger Ulrich Kahle, „zu den bedeutendsten Leistungen des evangelischen Kirchenbaus der 1950er Jahre.“

  • Überblick
    Ort
    Würzburg

    Landeskirche
    Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 


    Name der Kirche
    St. Johannis

    Einweihung
    1957 (22. Dezember, Ursprungsbau: 24. Juni 1895)

    Architekten
    Christian Franz Steindorff, Reinhard Riemerschmid

    Künstler
    Helmut Ammann, Karl Hemmeter, Gerd Jähnke, Inge Seyffart, Vadim Sidur
    Besonderheit
    Die Neuformulierung der Turmanlage setzte ein starkes Zeichen im Wiederaufbau einer der am schwersten kriegszerstörten Städte Deutschlands.

    Nutzung
    Kirche der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Johannis Würzburg, jährlich Ort der "Bachtage" und des "Kunstprojekts an St. Johannis"

    Standort / Städtebau
    Im Stadtbild ist diese – nach der 1803 den Protestanten übertragenen, ehemaligen Klosterkirche St. Stephan – zweite evangelisch genutzte Kirche in Würzburg weithin sichtbar. Gut 200 Meter nordöstlich der zum Weltkulturerbe zählenden Residenz erhebt sie sich etwas erhöht am Ostrand der Altstadt, gegenüber dem Ringpark (Glacis).

  • Beschreibung

    Grundriss

    Würzburg | St. Johannis | Grundriss

    Würzburg | St. Johannis | Grundriss

    Die heutige St. Johanniskirche erstreckt sich – parallel zur westlich auf die Residenz stoßenden Husarenstraße – längsorientiert von Südwest nach Nordost. So läuft die Hauptachse des rechteckigen Kirchenschiffs auf den Chor- bzw. Altarraum zu, der im Nordosten, deutlich eingezogen, trapezförmig an dieses anschließt. Das dreischiffige Langhaus des kriegszerstörten Vorgängerbaus ersetzte man mithin durch einen einschiffigen Saalbau, der nach Norden begleitet wird von einer schmalen längsrechteckigen „Werktagskapelle“ und weiteren Anbauten – u. a. für die Sakristei und den (heute vom neuen Gemeindehaus abgelösten) Konfirmandenraum. Die als Taufkapelle genutzte Südostecke des Kirchenschiffs wird von zwei halbrunden Raumnischen aufgebrochen, ein weiteres Halbrund bildet den südlichen Seiteneingang. Der Hauptzugang schließlich verläuft durch die vom Restbestand des Vorgängerbaus übernommene, neu entwickelte und dem Hauptschiff westlich vorgelagerte Turmanlage.

     

    Außenbau

    Würzburg | St. Johannis | Foto: DXR, CC BY SA 3.0

    Würzburg | St. Johannis | Foto: DXR, CC BY SA 3.0

    Prägnant sind vor allem die beiden gut 60 Meter hohen, die helmlos gewordene Turmruine seitlich flankierenden, als Achteckpyramiden entwickelten Neubautürme. Sie wurden den Treppentürmen der überkommenen Turmanlage übergestülpt. Hierfür wurden Stahlkonstruktionen gefertigt, die man mit hellgrauen Faserzementplatten verkleidete. Sie unterscheiden sich deutlich vom verbliebenen Rest des neugotischen Sandsteinbaus, den einst ein mächtiger Westturm auszeichnete. Das direkt anschließende heutige Kirchenschiff zeigt sich nach außen schmucklos, schlicht und in großen Teilen fensterlos. Nur die Nordseite durchzieht ein waagerechtes Fensterband, die Südseite einzig ein schmaler senkrechter Fensterstreifen. Die Südwand des Chorbaus, der das Langhaus etwas überragt, durchbricht eine wandhohe Fensterzone. Chor und Schiff werden geprägt durch Sichtmauerwerk in wechselnden Lagen von gelben Ziegelsteinen und Trümmer-Sandsteinen des Vorgängerbaus. Die Südostecke des Langhauses schließlich begleiten drei niedrige, nach außen vorspringende, lichte Halbrundbauten.

     

    Innenraum

    Würzburg | St. Johannis | Foto: Flo Sorg, CC0

    Würzburg | St. Johannis | Foto: Flo Sorg, CC0

    Das Innere des Kirchenschiffs wird von Südwesten her durch das alte Turmportal erschlossen. Unter der zweigeschossigen Westempore hindurch gelangt man in einen Raum, den sieben hohe, Dach und Decke tragende Beton-Dreigelenkbinder gliedern. Mit der von innen sichtbaren Satteldachform verleihen sie ihm, sich von oben nach unten verjüngend, ein zeltartiges Erscheinungsbild. An das Langhaus schließt ein schmaler erhöhter Chorraum an, dessen Südseite sich teils raumhoch belichtet zeigt. Den Übergang beider Raumzonen markieren zwei schlanke Rundstützen und eine (im symmetrisch entwickelten Kirchenraum) überraschend schräg geführte Stufenanlage. Sie vermittelt so zwischen der an der nördlichen Rundstütze angebrachten Kanzel, dem Chor-/Altarbereich und der in der Südostecke des Schiffs angelegten, offenen Taufkapelle. Mit zwei niedrigen Rundnischen gen Südost aus der Raumkubatur ausgreifend, tritt letztere mit einer stark farbigen Verglasung besonders hervor. Die Wände des rund 40 Meter langen, 17 Meter breiten und etwa 17 Meter hohen Kirchenraums gestaltete man wie außen in Sandstein und gelbem Ziegel. In Schiff und Chor entwickelt sich die Lichtstimmung teils indirekt über milchverglaste Fensterstreifen und -zonen. Die Decken wurden zwecks besserer Akustik mit hellen schallschluckenden Odenwald-Faserplatten verkleidet.

  • Liturgie und Raum
    Würzburg | St. Johannis | Foto: Didi43, CC BY SA 4.0

    Würzburg | St. Johannis | Foto: Didi43, CC BY SA 4.0

    Die liturgische Ordnung folgt den „Grundsätzen für die Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen“, die von der 2. Evangelischen Kirchbautagung in Rummelsberg 1951 verabschiedet wurden. So entstand ein längs entwickelter, auf einen über fünf Stufen deutlich erhöhten Chor- bzw. Altarbereich zulaufender Kirchenraum. Den quer zur Raumachse gestellten Altar errichtete man auf einem um weitere zwei Stufen erhöhten, zungenförmig ausgreifenden Altarraum-Podest. Passend zu dieser bühnenartigen Raumentwicklung trug der Altar ursprünglich zwölf vom Architekten entworfene, die Form der Neubau-Türme aufgreifende Leuchter und ein mit ihnen verbundenes Kreuz des Nürnberger Künstlers Heinz Heiber. Die Kanzel wurde links seitlich des Übergangs vom Langhaus zum Chor platziert, während die Taufe rechter Hand davon in der Südostecke des Kirchenschiffs Aufstellung fand. Im gut 600 Personen fassenden Hauptschiff ordnete man – vom Eingang her, auf den Altarraum zu – 26 feste Bankreihen mit breitem Mittelgang an. Im Zuge liturgischer Veränderungen wurden vor einigen Jahren Altarleuchter und -kreuz entfernt bzw. ersetzt. Seither kann die liturgische Handlung vor wie auch hinter dem Altar (versus populum) vollzogen werden.

  • Ausstattung
    Würzburg | St. Johannis | Glasgestaltung | Foto: Flo Sorg, CC0

    Würzburg | St. Johannis | Glasgestaltung | Foto: Flo Sorg, CC0

    Die Ausstattung des Kirchenschiffs der Nachkriegszeit wurde schlicht gehalten. Während der Altarblock auf querrechteckiger Grundfläche aus dunklem Schillkalk entstand, erhielt die holzverkleidete Kanzel eine trapezförmige Grundstruktur mit rechteckigem Schalldeckel. Den Taufstein aus rohweißem polierten Sinterkalk entwickelte man auf dem Grundriss eines abgerundeten Quadrats: Seine Ecken weisen in die vier Himmelsrichtungen. Das zentrale Kunstwerk jedoch ist die überlebensgroße Lindenholzplastik „Christus als Weltenrichter“, die an zwei Stahlseilen befestigt ist und den Altarraum überspannt. Sie wurde 1962 vom Münchener Bildhauer Helmut Ammann im Kirchenraum geschnitzt.

    Die farbige Verglasung der beiden Rundnischen der Taufkapelle gestaltete der Münchener Künstler Gerd Jähnke mit verschiedenen, dem Taufgeschehen entsprechenden Motiven aus dem Alten und Neuen Testament. Eine hölzerne Figurengruppe an der südlichen Langhauswand schließlich thematisiert die Fußwaschung. Sie wurde bereits 1942 von Karl Hemmeter (München) geschaffen. Den Glasfensterzyklus der „Werktagskapelle“ entwarf ebenfalls Gerd Jähnke, während die für das überkommene Turmportal neu gefertigte Bronzetür von Inge Seyffart (München) stammt: Zu sehen sind Szenen aus dem Johannesevangelium. Seine 1993 zentral vor der Kirche aufgestellte Plastik „Tod durch Bomben“ verstand der russisch-jüdische Künstler Vadim Sidur als Vermächtnis an die Stadt Würzburg. Das Geläut in der Turmruine kam 1957 aus der Glockengießerei Czudnochowski (Erding), die Orgel auf der oberen Westempore 1960 von der Hamburger Werkstatt Beckerath.

  • Von der Idee zum Bau
    Würzburg | St. Johannis | Taufkapelle | Foto: Didi43, CC BY SA 4.0

    Würzburg | St. Johannis | Taufkapelle | Foto: Didi43, CC BY SA 4.0

    Die St. Johanniskirche entstand als erster protestantischer Kirchenneubau in der bis heute wesentlich katholisch geprägten Bistumsstadt Würzburg. Ihr Bau durch die Evangelisch-Lutherische Gemeinde Würzburg wurde erforderlich, als im 19. Jahrhundert die Bevölkerungs- und Gemeindegliederzahlen anstiegen. Damit beauftragt wurde Prof. Hermann Steindorff (Nürnberg), nach dessen Plänen von 1892 bis 1895 eine neugotische Kirche entstand. Wie weite Teile der Stadt wurde diese beim Luftangriff am 16. März 1945 großteils zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden die Gottesdienste zunächst in Provisorien statt, ehe man – angesichts steigender Gemeindegliederzahlen – 1956/57 einen Wiederauf-/Neubau nach Plänen des Münchener Architekten Reinhard Riemerschmid umsetzen konnte. Vorangegangen war 1954 ein begrenzter Wettbewerb, der darauf abzielte, den ursprünglichen Grundriss beizubehalten und die Turmruine einzubeziehen. Riemerschmid belegte hierbei zwar nur den zweiten Platz, wurde aber von der Gemeinde beauftragt. Der am 22. Dezember 1957 eingeweihte Kirchenbau beruhte auf einer Grundidee: Der Turmstumpf und das überkommene Eingangsportal wurden als Mahnmal belassen und in einen ansonsten vollständig neuen Bau einbezogen. In diesen band Riemerschmid zudem Lagen aus Trümmersteinen der Vorgängerkirche mit ein – und entwickelte eine aus dem Alten erwachsende, weithin sichtbare Zweiturmfassade.

  • Die Architekten Christian Franz Steindorff und Reinhard Riemerschmid
    Würzburg | St. Johannis | Foto: Mattes, gemeinfrei

    Würzburg | St. Johannis | Foto: Mattes, gemeinfrei

    Den Ursprungsbau entwarf der Architekt und Fachschriftsteller Prof. Hermann Christian Franz Steindorff (1841-1917). Er war u. a. Schüler von Conrad Wilhelm Hase und Gottfried Semper. Von 1877 bis 1908 wirkte Steindorff als Professor für mittelalterliche Baukunst und Formenlehre an der Kunstgewerbeschule in Nürnberg. Neben der Würzburger Kirche St. Johannis Würzburg plante er u. a. die Restaurierung bzw. Wiederherstellung von Kirchen in Schwäbisch Gmünd, Weißenburg und Uffenheim.

    Den Wiederauf-/Neubau entwickelte Dipl.-Ing. Architekt Reinhard Riemerschmid (1914-96). Geboren in München, studierte er an der dortigen Technischen Hochschule. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Riemerschmid Mitarbeiter und 1. Assistent von Hans Döllgast, an dessen Lehrstuhl er bis 1958 als Lehrbeauftragter wirkte. Parallel gründete er, ein Großneffe des Jugendstilarchitekten und -künstlers Richard Riemerschmid (1868-1957), 1946 in München ein eigenes Atelier. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag in Bayern, aber auch außerhalb wurde er mit Wettbewerbsteilnahmen und Realisierungen bekannt. Neben öffentlichen Bauten entstanden aus seiner Hand eine Reihe evangelische, von einer gemäßigten Moderne geprägte Kirchen – außer St. Johannis in Würzburg etwa in Burghausen, Hohenpeißenberg und Kolbermoor, in Hamburg, Hannover und München.

  • Literatur (Auswahl)
    • Andreas Hildmann: Reinhard Riemerschmid – ein Jubilar, in: Annäherung 4, 1994, 1, 152f.
    • St. Johannis wird wieder erstehen, in: Main-Post 272, 24. November 1953.
    • Ulrich Kahle: Zum evangelischen Kirchenbau in Bayern zwischen 1945 und 1950. Rahmenbedingungen – Entwicklungen – Beispiele, in: Hans-Peter Hübner/Helmut Braun (Hg.): Evangelischer Kirchenbau in Bayern seit 1945, Berlin/München 2010, 28-37.
    • Ulrich Kahle: Würzburg St. Johanniskirche. Reinhard Riemerschmid 1957, in: Hans-Peter Hübner/Helmut Braun (Hg.): Evangelischer Kirchenbau in Bayern seit 1945, Berlin/München 2010, 132f.
    • Olaf Kühl-Freudenstein (Hg.): Alte Kirchen – neu entdeckt. Kirchenpädagogik am Beispiel der Würzburger Stephans-, Johannis- und Deutschhauskirche, Dettelbach 2005.
    • Richard Wust: Mahnmal und Kirchen-Mittelpunkt, in: Mainpost 20. Dezember 2007 (www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Mahnmal-und-Kirchen-Mittelpunkt;art780,4269882, Abrufdatum: 27. Mai 2017).

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Matthias Ludwig, Schweinfurt (Beitrag online seit 06/2017)

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