Bochum

Christuskirche

Anschrift Kirche
An der Christuskirche 1
44787 Bochum

Ein großes Versprechen

Als die Engländer 1943 Bochum bombardierten, blieb von der neugotischen Christuskirche nur der Turm übrig. Eigentlich hatten sich die Flieger am Kirchturm orientiert, um den nahen Bochumer Verein zu treffen: eines der größten deutschen Stahlwerke, in dem auch KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter schufteten. Auf die Kriegsgreuel antwortete der Architekt Dieter Oesterlen 1959 mit einer Verheißung in Ziegel und Beton: Neben den ehrwürdigen historischen Turm der Christuskirche stellte er ein modernes filigranes Schiff. Durch sichtbares Erinnern sollte wieder Neues erwachsen. Dieser Gedanke wird heute vor der Kirche auf städtischem Grund mit dem Kunstwerk „Platz des Europäischen Versprechens“ fortgesetzt.

  • Überblick
    Ort
    Bochum

    Landeskirche
    Evangelische Kirche von Westfalen


    Name der Kirche
    Christuskirche

    Einweihung
    1959 (28. September)

    Architekt
    Dieter Oesterlen

    Künstler
    Helmut Lander
    Besonderheit
    Neben den neugotischen Turm setzte Oesterlen ebenso gekonnt wie behutsam ein deutlich modernes Schiff und prägte damit spätere Wiederaufbauten wie Egon Eiermanns Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

    Nutzung
    Seit 2003 Nutzung als Kirche der Kulturen

    Standort / Städtebau
    Am vielbefahrenen Westring gelegen, umfasst die Christuskirche gemeinsam mit der Evangelischen Stadtakademie einen kleinen ruhigen Platz, den künstlerisch gestalteten "Platz des Europäischen Versprechens".

  • Beschreibung

    Grundriss und Außenbau

    Bochum | Christuskirche | Grundriss

    Bochum | Christuskirche | Grundriss

    Zu ihrer Einweihung 1879 überragte die evangelische Christuskirche sogar die Schlote des Bochumer Vereins. Bis heute wird der Kirchturm vom Material Sandstein und von neugotischen Schmuckformen geprägt: das gestufte Portal und die Maßwerkrose darüber, die wehrhaften Strebepfeiler und spitzbogigen Fenster der vier Turmgeschosse, die Kriech- und Kreuzblumen des steinernen Helms. Nur ein niedriger verglaster Gang verbindet den historistischen Turm mit dem modernen Schiff.

    Neben dem Turm aus der Achse gerückt, nimmt sich das Schiff in der Höhe zurück und faltet seine Wände fächerförmig auf. Über einem trapezförmigen Grundriss zeigen die Umfassungsmauern einen regelmäßigen Wechsel von Ziegelsteinen und Betonglas, während das kristallin geformte Dach mit Kupfer gedeckt wurde. Betreten kann man das moderne Schiff nicht allein durch den Turm, sondern auch vom Platz aus durch zwei hohe Bronzetüren.

     

    Innenraum

    Bochum | Christuskirche | Innenraum | Foto: bednorz images

    Bochum | Christuskirche | Innenraum | Foto: bednorz images

    Im Inneren wird der weite stützenlose Raum von einer aufwändigen Deckengestaltung überfangen, für die sich Dreiecksformen zu einem modernen Netzgewölbe fügen. Gegliedert wird der Raum durch eine klare Materialverwendung: In der Decke zeigen die Betondreiecke noch das grafische Muster der Verschalung. Holzverkleidete Rhomben leiten zu den backsteinsichtigen Seitenwänden über, die wiederum ein ähnliches Loch-Raster aufweisen wie einzelne Deckenfelder. Fast ungestört bleiben die Flächen um den Altar, über dem die „Gewölbelinien“ in vieleckigen Betonformen münden – als Gegenpol zur Orgelempore über dem Hauptportal. Umlaufend trennt eine dünne Fuge schließlich die Faltdecke vom übrigen Raum und lässt sie fast schwerelos wirken.

  • Liturgie und Raum

    Oesterlen gestaltete einen gut ausbalancierten Gottesdienstraum: Die Materialsprache bindet den Bau zusammen und betont zugleich den Altar. Der Mittelgang führt zur erhöhten Altarinsel, wo Kanzel, Altar und Ambo über die ganze Wandbreite aufgespannt sind. Der steinerne Altartisch steht an die Wand gerückt, während ihn die Bankblöcke fischgrätartig umfangen. An die Stelle der historistischen Wegekirche setzte Oesterlen damit einen Gemeinschaftsraum, dessen „Gewölbe“ über sich und die versammelte Gemeinde hinausweist – und die Christuskirche zu einem modernen Sakralraum im besten Sinne macht.

  • Ausstattung

    Turmhalle

    Bochum | Christuskirche | Turmhalle | Foto: Ayla Wessel

    Bochum | Christuskirche | Turmhalle | Foto: Ayla Wessel

    Nach dem Ersten Weltkrieg gestaltete der Düsseldorfer Maler Heinrich Rüter (1877-1955) im Turm eine „Helden“-Gedenkhalle. Bis 1931 listete man hier in aufwändiger Mosaiktechnik die 1.358 protestantischen Gefallenen der Stadt ebenso wie die Namen der 28 „Feindstaaten Deutschlands“ – von Belgien bis Uruguay. In der neu eingefügten Apsis streben die Verstorbenen zum segnenden Christus. Auf dieses Zeugnis der Zwischenkriegszeit antwortet derzeit der Künstler Jochen Gerz (geb. 1940) mit seinem „Platz des Europäischen Versprechens“. In der Turmhalle und rund um den Turm hält er die Namen von 15.000 Europäern auf Basaltplatten fest.

     

    Kirchenschiff

    Bochum | Christuskirche | Betonvergalsung | Foto: bednorz images

    Bochum | Christuskirche | Betonvergalsung | Foto: bednorz images

    Den einzigen Schmuck des Kirchenschiffs bilden die Betonglasfenster des Darmstädter Bildhauers Helmut Lander (1924-2013). Für Bochum verband er farbige Glaselemente zu wandhohen Flächen, die den Raum im Wechsel mit backsteinverkleideten Wänden gliedern. Lander gruppierte vorwiegend Blau-, Weiß- und Grautöne zu abstrakten grafischen Strukturen, die sich zum Altar hin steigern. Nicht nur der Eingangs-, sondern auch der Altarbereich blieb jedoch frei von jeder künstlerischen Ausschmückung. Über dem Altar verweist nur ein schlichtes Kreuz ohne Corpus auf die gottesdienstliche Bestimmung des Raums.

  • Von der Idee zum Bau

    Als sich Bochum mit Bergbau und Stahlindustrie im 19. Jahrhundert zur Großstadt wandelte, wurde im Jahr 1879 eine neue evangelische Kirche mit 1.200 Sitzplätzen fertiggestellt. Den Entwurf zur Christuskirche lieferten die Architekten Theodor Quester (geb. 1843) und August Hartel (1844-1890), der später die Leipziger Peterskirche gestalten sollte. An der Christuskirche verfasste der jüdisch­christliche Pfarrer Hans Ehrenberg (1883-1958) 1933 eines der frühesten christlichen Bekenntnisse gegen den Nationalsozialismus. Nachdem Ehrenberg ins KZ Sachsenhausen verschleppt worden war, konnte er sich 1939 ins englische Exil retten.

    Bochum | Christuskirche | 'Katatonia' | Foto: Sabine Michalak

    Bochum | Christuskirche | ‘Katatonia’ | Foto: Sabine Michalak

    War der Turm 1945 fast unbeschadet erhalten, standen vom Schiff nur noch die Mauern. Schließlich entschied die Gemeinde: Der Turm bleibt als geschichtsträchtige Landmarke, aber ein modernes Schiff soll den Neuanfang verkörpern. Im folgenden Wettbewerb setzte sich Dieter Oesterlen (1911-1994) gegen Architekten wie Denis Boniver (1897-1961) und Heinrich Otto Vogel (1898-1994) durch und verwirklichte seine Entwürfe bis 1959. Während man 1992 noch den Abriss des Turms diskutierte, wird der gesamte Bau seit 2000 als „Kirche der Kulturen“ genutzt. Jedes Jahr nehmen bis zu 25.000 Menschen an den religionsübergreifenden liturgischen und kulturellen Veranstaltungen teil.

  • Der Architekt Dieter Oesterlen

    Dieter Oesterlen (* 5. April 1911 in Heidenheim/Brenz, † 6. April 1994 in Hannover) gilt als führender Vertreter einer gemäßigten Moderne. In Hannover aufgewachsen, studierte Oesterlen in Stuttgart bei Paul Schmitthenner, in Berlin bei Heinrich Tessenow und Hans Poelzig. Bereits vor dem Krieg war er als selbständiger Architekt tätig, um sich nach 1945 einen Namen mit modernen Baukörpern im historischen Umfeld zu machen. In Hannover erweiterte er z. B. den Niedersächsischen Landtag (1962) oder bettete das Historische Museum (1966) in die Überreste der Altstadt ein.

    Als Professor der dortigen Technischen Hochschule wurde Oesterlen zum Mitbegründer der Braunschweiger Schule. Im Kirchenbau reüssierte er früh mit modern interpretierenden Wiederaufbauten, etwa mit der Martinskirche (1957) in Hannover. Um 1960 schätze man seine leise Sakralität, wie er sie in Hildesheim mit der Zwölf-Apostel-Kirche (1967) noch einmal zu einer späten Blüte brachte. Heute gilt die Bochumer Christuskirche – im sensiblen Umgang mit der Geschichte, in der ausgefeilten Materialsprache und im kongenialen Zusammenspiel von Glas- und Baukunst – zu Recht als Oesterlens Meisterstück.

  • Literatur (Auswahl)
    • Christel Darmstadt/Rüdiger Jordan (Hg.): Sakrale Baukunst in Bochum, Bochum 2003.
    • Hans H. Hanke (Hg.): Bewahrung der Beschädigung. Die „Kriegerehrung“ in der Christuskirche Bochum-Mitte, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 11 (2005) 1, 9-17.
    • Hans H. Hanke (Hg.): Mosaik der Welt. Die Christuskirche Bochum Mitte und der Platz des Europäischen Versprechens, Essen 2009.
    • Anne Schmedding: Dieter Oesterlen (1911-1994). Tradition und zeitgemäßer Raum, Tübingen 2011 [zugl. Diss., TU Berlin, 2011].
    • Horst Schwebel: Eine Scheu vor großen Gesten. Protestantischer Kirchenbau aus theologisch-liturgischer Sicht, in: Wolfgang Jean Stock (Hg.): Europäischer Kirchenbau 1950-2000. European church architecture 1950-2000, München u. a. 2000, 212-233.
    • Thomas Wessel: Die „Kirche der Kulturen“ in Bochum, in: Christian Antz/Karin Berkemann (Hg.): 100 spirituelle Tankstellen. Reisen zu christlichen Zielen, Freiburg im Breisgau 2013, 148-149.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald (online seit 12/2015)

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