Eslohe-Cobbenrode

St. Nikolaus

Anschrift Kirche
Olper Straße 21
59889 Eslohe-Cobbenrode

Der Schein trügt

In den Hochlagen des Sauerlands findet sich der Ort Cobbenrode. Die Kirche im typischen Schwarz-Weiß (Schieferdeckung und helles Mauerwerk) scheint zu den alten Gotteshäusern der Region zu gehören: Ein kleiner, wohl älterer Turm steckt in einem riesigen Kirchenschiff. Wurde es erst nachträglich auf seine Größe gebracht? In den Turm hat man offenbar ein zu großes Fenster gebrochen. Wenig passende Anbauten flankieren den Bau. Schräge Strebewände sichern ihn, auch sie dürften nachträgliche Ergänzungen sein. Doch halt: Wir sind auf der völlig falschen Fährte! Alles stammt aus dem Jahre 1931, alles stammt aus der Hand eines Architekten, alles wurde in einem Ablauf errichtet – als meisterhaft expressive Übersteigerung traditioneller Bauformen.

  • Überblick
    Ort
    Eslohe-Cobbenrode

    Bistum
    Erzbistum Paderborn

    Name der Kirche
    St. Nikolaus

    Weihe
    1931

    Architekt
    Carl Wibbe

    Künstler
    Jakob Heinrich Evers
    Besonderheit
    Der klare Einheitsraum mit Großgewölbe liegt im Spannungsfeld zwischen traditionellen Baumotiven und deren innovativer Abwandlung.

    Nutzung
    Katholische Pfarrkirche für Cobbenrode

    Standort / Städtebau
    St. Nikolaus steht im Mittelpunkt von Cobbenrode unmittelbar an der Bundesstraße 55 von Meschede nach Lennestadt.

  • Beschreibung

    Grundriss und Außenbau

    Eslohe-Cobbenrode | St. Nikolaus | Grundriss

    Eslohe-Cobbenrode | St. Nikolaus | Grundriss

    St. Nikolaus in Cobbenrode ist ein dreischiffiges Gebäude aus schmalen Seitengängen und breitem Mittelschiff. Dieses Mittelschiff mündet in eine um vier Stufen angehobene Altarzone, die polygonal geschlossen ist. Gegenüber bestimmt ein zur Hälfte in das Schiff gerückter Turm die Giebelseite. Seitliche Anbauten (Kapelle und Sakristei) und große Strebepfeiler prägen das Außenbild. Nichts an diesem traditionellen Grundplan lässt die moderne Architektur ahnen, die sich im Inneren entwickelt.

     

     

    Innenraum

    Eslohe-Cobbenrode | St. Nikolaus | Innenraum | Foto: Dr. Hans Wiechers, CC BY SA 3.0

    Eslohe-Cobbenrode | St. Nikolaus | Foto: Dr. Hans Wiechers, CC BY SA 3.0

    Der Innenraum ist rein weiß, eine einzige große Wölbung, deren Rundung schon auf dem Fußboden beginnt. Gliedernde Elemente wie Kapitelle, Gesimse oder Schlusssteine fehlen. Auch Kreuzungen im Gewölbe sucht man vergeblich, weil es nur parallele Linien quer durch den Raum gibt. Von jedem Pfeiler läuft ein vorstehender Grat hoch ins Gewölbe. Von jeder Bogenspitze ist eine Kehle quer durch den Raum geführt. Allerdings sind auch die Kehlen wieder als vortretende Grate geformt, sodass sich eine Folge von schwingenden, parallelen und scharfkantigen Linien ergibt. Mit diesen Mitteln ist eine große Form gebaut, ist ein Einheitsraum gefunden. Als Vorbild ist Dominikus Böhms Kirche St. Apollinaris im etwa 80 km entfernten Lindlar-Frielingsdorf (1928) unverkennbar.

    Die Altarzone umfasst ein abschließendes Gratgewölbe, das hier auf einen Punkt – den Altar – konzentriert ist. Seitlich des Altares finden sich Fenster mit Lamellen. Einzige Unterbechung des strengen Aufbaus ist die seitliche Orgelempore. Sie schneidet unvermittelt in die Wölbung ein und verdeutlicht so das nichttragende Leichtgewölbe aus Geflecht und Putz. Eine zweite Empore findet sich turmseitig, darüber das große Turmfenster. Die sechs Abschnitte der Seitengänge umfassen quer geführte Spitztonnen mit zur Außenwand fallender Scheitellinie. Stark plastische Wirkungen ergeben die einschneidenden Durchgänge. Schmucklose spitzbogige Fenster prägen die Außenwände.

  • Liturgie und Raum

    St. Nikolaus folgt der Idee des gerichteten Einheitsraums. Zwar existieren Seitenschiffe, sie erreichen als Gänge jedoch keine eigenwertige Raumgestalt. Angestrebt ist die Wirkung eines Großraums, der durch die zusammenfassende Wölbung keine Unterscheidung in Gemeinderaum und Chor sucht. Dabei bleibt der Zielpunkt in Gestalt des barocken Altaraufbaus eindeutig. Das fünfteilige Abschlussgewölbe verbindet den Altar mit der großen Raumgestalt.

    Die Kirche folgt damit zeittypisch christozentrischen Gedanken: Der Altar als Sinnbild Christi soll Ziel und Zentrum des Einheitsraums sein. Auch die Lichtregie unterstützt dieses Anliegen, indem der Altar von beiden Seiten durch schräg gestellte Lamellen belichtet wird. Nichts soll ablenken von diesem Zentrum. So ist der Nebenaltar in eine Nische gedrängt, für den Taufstein gibt es hinten eine Kapelle, die Glasbilder im Seitengang sind wenig bestimmend, und Licht fällt gleichmäßig von hinten durch das Turmfenster ins Schiff.

  • Ausstattung

    Schon früh war geplant, das Altarretabel aus dem spätbarocken Vorgängerbau zu übernehmen: ein Gemälde der Hl. Dreifaltigkeit, darüber ein Bild des Hl. Georg, seitliche Figuren (Hl. Agatha/Hl. Nikolaus) und den gewandelten Leib Christi im Tabernakel. Dazu treten ein Zelebrationsaltar (1967) und ein Ambo (2004) in barockisierender Anpassung. In einem Anbau der Südseite steht ein zweiter Altar des 18. Jahrhunderts, der ein großes qualitätvolles Kruzifix vom Beginn des 16. Jahrhunderts trägt. Dieser Zeitstellung entsprechen auch weitere Holzfiguren (Hl. Maria mit Kind, Hl. Franziskus, Hl. Antonius Einsiedler, Hl. Elisabeth, Hl. Katharina). Die Figur des Hl. Nikolaus, des Kirchenpatrons, wird auf 1390 datiert.

    Eslohe-Cobbenrode | St. Nikolaus | Tauffenster | Foto: Pfarrgemeinde St. Nikolaus Cobbenrode

    Eslohe-Cobbenrode | St. Nikolaus | Tauffenster | Foto: Pfarrgemeinde St. Nikolaus Cobbenrode

    Von der bauzeitlichen Ausstattung sind die Glasbilder von Jakob Heinrich Evers im südlichen Seitengang hervorzuheben (Ausführung: G. Freericks, Hamm). Evers verwendete traditionelle Bildmotive, die durch flächige Hintergründe, ornamentale Bleiruten und gesuchte farbliche Wirkungen verfremdet und so zu einer eigenwertigen Leistung der 1930er Jahre werden. Die Verglasung umfasst Bilder des Hl. Hubertus, des Hl. Petrus Canisius, des Hl. Georg, des Hl. Antonius von Padua, der Hl. Maria Immaculata und des thronenden Christus. Ein Fenster der Taufe im Jordan findet sich in der rückseitigen Taufkapelle. Der Taufstein von etwa 1904 steht heute jedoch ganz vorn im südlichen Seitengang. Aus der Bauzeit stammen Gestühl und Beichtstuhl. Nicht erhalten sind zwei große Kanzelkörbe. Die Orgel ist ein Werk aus der Hand der Firma Gebr. Stockmann in Werl (1958).

  • Von der Idee zum Bau

    Die 1761 erbaute und später erweiterte Kirche St. Nikolaus genügte im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts nicht mehr den Anforderungen, sodass ein Um- oder Neubau notwendig wurde. Im Mai 1930 plante der Kirchenarchitekt Josef Ferber aus Soest zunächst einen Neubau, der den historischen Chor als Seitenkapelle einbeziehen sollte. Im Oktober 1930 lagen Neubaupläne von drei Architekten vor, aus denen der Entwurf von Carl Wibbe ausgewählt wurde. Vor dessen Umsetzung beanstandete die Erzbischöfliche Behörde allerdings erhebliche „Mängel“, darunter das angebliche Missverhältnis zwischen Turm und Dach. Eine positive Entscheidung für das Projekt fiel erst im Sommer 1931 nach Intervention bei Erzbischof Caspar Klein. Noch bis Ende des Jahres konnte der Bau fertig gestellt werden.

  • Der Architekt Carl Wibbe

    Über den Architekten Carl Wibbe aus Hamm liegen nur lückenhafte Informationen vor. Wibbe nahm um 1925 seine Tätigkeit als freiberuflicher Architekt auf. 1929 war er Mitglied der neu gegründeten St. Lukas-Gemeinschaft Münster, welche die Qualität christlicher Kunst und Architektur erhöhen wollte. Im kurzen Zeitraum von 1927 bis 1933 errichtete er mindestens zwölf Kirchenbauten, die über ganz Westfalen verteilt sind. Als Vergleichsbeispiele für Cobbenrode bieten sich seine Projekte St. Antonius Einsiedler in Langscheid am Sorpesee (1932) und St. Alexius in Benhausen bei Paderborn (1933) an. In einem Zeitungsartikel von 1950 ist sogar von 16 Wibbe-Kirchen die Rede.

    Wibbes Arbeit für kirchliche Auftraggeber scheint spätestens 1935 geendet zu haben. Er agierte als Ratsherr der Stadt Hamm und entschied sich für eine aktive Rolle im nationalsozialistischen Staat. 1935 gab es Vorbehalte aus dem katholischen Klerus, Wibbe zu beauftragen. Fortan plante er bevorzugt herrschaftliche Einfamilienhäuser sowie Industrie- und Geschäftsbauten.

  • Literatur (Auswahl)
    • Karl Hölker/Martin Wackernagel: Die Münsterische St. Lukas-Gemeinschaft, in: Die christliche Kunst 29 (1932/33), 93-104.
    • Heinrich Otten: Der Kirchenbau im Erzbistum Paderborn 1930-1975 (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 60), Paderborn 2009, 26-27, 249-250, 421.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Heinrich Otten, Werl (Beitrag online seit 10/2015)

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