Marburg-Richtsberg

Ökumenisches Zentrum

Anschrift Kirche
Chemnitzer Straße 2
35039 Marburg-Richtsberg
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Zur Webseite
    Bitte bei den jeweiligen Pfarrämtern erfragen: Die evangelische Gemeinde ist online unter richtsberg.ekmr.de, die katholische Gemeinde online unter www.liebfrauen-marburg.de zu erreichen.
    Anschrift Pfarramt Evangelische Kirchengemeinde "Am Richtsberg", Bezirk II
    Chemnitzer Straße 2
    35039 Marburg-Richtsberg
    06421 41990
    E-Mail
    Zur Webseite
    Öffnungszeiten Pfarramt Evangelisches Gemeindebüro:
    DI: 8.30 - 12.30 Uhr
    DO: 12.00 - 16.00 Uhr

    Katholisches Pfarrbüro:
    liebfrauen-marburg[at]pfarrei.bistum-fulda.de
    Gottesdienstzeiten Kirche Die Gottesdienstzeiten der evangelische Gemeinde finden Sie online unter richtsberg.ekmr.de/aktuell/gottesdienste
    Die Gottesdienstzeiten der katholische Gemeinde finden Sie online unter: www.liebfrauen-marburg.de.
    Kirchen in Deutschlands Mitte

Durch die Wand

Zwischen Katholiken und Protestanten liegt manchmal eine Wand – aber im Ökumenischen Zentrum Marburg-Richtsberg ist sie nur hauchdünn. Denn als beide Konfessionen 1968 an die Planung für einen gemeinsamen Bau gingen, wollten sie eigentlich alles teilen: von der Küche bis zum Kirchenraum. Ein gemeinsames Foyer haben sie 1973 bekommen, gegen den gemeinsamen Gottesdienstraum erhoben beide Kirchenleitungen ihren Einspruch. So erhielt das Zentrum eine katholische Kapelle direkt neben einem evangelischen „Mehrzweckraum“. Aus Trotz und Hoffnung jedoch führte man die Trennwand zwischen beiden so dünn als möglich aus, damit sie leicht wieder einzureißen ist, wenn die Zeiten einmal günstiger werden.

  • Überblick
    Ort
    Marburg-Richtsberg

    Landeskirche
    Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck 


    Name der Kirche
    Ökumenisches Zentrum

    Einweihung
    1973 (14. Oktober)

    Architekten
    Dirk Bäumer, Johann Georg (Graf zu) Solms, Karl Hermann Stärk

    Künstler
    Erhardt Jakobus Klonk, Johannes Schönert
    Besonderheit
    Der 1973 eingeweihte Bau setzte in Marburgs "Trabantenstadt" Richtsberg ein ungewöhnlich frühes, bauliches Zeichen der konfessionellen Zusammenarbeit.

    Nutzung
    Der evangelische Teil des Ökumenischen Zentrums bildet unter dem Namen "Thomaskirche" den Mittelpunkt des Bezirks II der Evangelischen Kirchengemeinde "Am Richtsberg", der katholische Teil wird als "Thomaskapelle" von der Liebfrauengemeinde genutzt.

    Standort / Städtebau
    Südöstlich der Marburger Altstadt fügt sich das Zentrum in das hügelige Neubaugebiet Richtsberg: zu einem kleinen öffentlichen Platz flach gelagert, zur Talseite festungsartig aufragend.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Grundriss

    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Grundriss

    In den Hügeln südöstlich der Marburger Altstadt, in einem ausgedehnten Neubaugebiet liegt das Ökumenische Zentrum an der Einmündung von Chemnitzer Straße und „Am Richtsberg“. Nach Nordwesten bilden Ladengeschäfte mit dem kirchlichen Ensemble einen kleinen Platz aus. Die Anlage verschränkt zwei annähernd quadratische Grundrisse: im Nordosten der evangelische „Mehrzweckraum“, die katholische Kapelle, das Foyer, die Gemeinderäume und die evangelische Pfarrwohnung, im Südwesten der „Jugendteil“.

     

    Außenbau

    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Außenbau | Foto: Jochen Teufel, CC BY SA 3.0 oder GFDL

    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Foto: Jochen Teufel, CC BY SA 3.0 oder GFDL

    Zum Vorplatz, nach Nordwesten zeigt das Ökumenische Zentrum seine flach gelagerte Frontseite mit großen Glasflächen. Zur Talseite, nach Südosten hingegen präsentiert sich das Ensemble als betonplastische festungsartige Anlage mit kleinen Fenstern. Den gesamten Bau bekrönen zwei mit (Kunst-)Schiefer verkleidete Kuben, die als Holzkonstruktion ausgeführt sind und die beiden Gottesdiensträume markieren. Auf dem Vorplatz ist dem Zentrum ein filigraner freistehender Glockenträger beigefügt.

     

    Innenraum

    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Evangelischer Kirchenraum | Foto: Karin Berkemann

    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Evangelischer Kirchenraum | Foto: Karin Berkemann

    Betritt man das Zentrum von Nordwesten über den Platz, erschließt sich zunächst ein weites gestuftes Foyer mit Sitzmöglichkeiten, dessen Kern ein roter Küchenkubus bildet. Unter jedem der Dachaufbauten, die ihre Konstruktionsweise und Verstrebungen nach innen offen zeigen, liegt ein Gottesdienstraum: im Nordosten die katholische Kapelle, im Südwesten der evangelische „Mehrzweckraum“. Während der evangelische Raum auf einer Ebene bleibt, wird die katholische Kapelle durch eine Empore und zwei apsidenförmige „Sakristei-Erker“ untergliedert. Der evangelische „Mehrzweckraum“ kann dem Foyer, die katholische Kapelle dem angrenzenden Gemeindesaal zugeschaltet werden.

  • Liturgie und Raum
    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Nutzungsvarianten

    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Nutzungsvarianten

    Als sich die Kirchenleitungen in Fulda und Kassel gegen einen ökumenischen Gottesdienstraum in Marburg aussprachen, passten die Architekten und beide Gemeinden vor Ort ihr Nutzungskonzept an: Die katholische Kapelle erhielt durch eine Bebankung, eine gestufte Altarzone und eine Empore den Charakter eines gerichteten intimen Gebets- und Andachtsraums. Der evangelische „Mehrzweckraum“ hingegen konnte mit einer vollständig beweglichen Ausstattung auch für andere und größere Veranstaltungen hergerichtet werden. Alle Innenwände des Zentrums wurden programmatisch in Kalksandstein ausgeführt, um die Chance für aktuelle „Experimente“ und spätere Änderungen grundsätzlich offen zu lassen.

    Die 1973 an den städtebaulichen Standort geknüpften Erwartungen konnten sich nur teilweise erfüllen: Der „zentrale“ Platz wurde nicht im erhofften Maß angenommen, so dass sich die „Laufkundschaft“ auch für das kirchliche Zentrum rar machte. Dem allgemeinen Trend zur „Sakralisierung“ von Gemeindezentren folgend, wurden die Gottesdiensträume beider Konfessionen als solche durch feste Ausstattungsstücke immer stärker festgelegt. Zuletzt erhielt das Ensemble 2003 zum Vorplatz hin einen filigranen Glockenträger. Heute wird der evangelische Teil des Ökumenischen Zentrums als „Thomaskirche“, der katholische Teil als „Thomaskapelle“ geführt.

  • Ausstattung
    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Evangelisches Altarkreuz | Foto: Karin Berkemann

    Marburg-Richtsberg | Ökumenisches Gemeindezentrum Thomaskirche | Evangelisches Altarkreuz | Foto: Karin Berkemann

    Zur Bauzeit hatte man das Zentrum bewusst von einer über die Architektur hinausreichenden, künstlerischen Ausstattung freigehalten. In den folgenden Jahren jedoch wuchs dem Ensemble das ein oder andere Stück zu: Den evangelischen „Mehrzweckraum“ kennzeichnete man durch ein hölzernes Kreuz mit stilisiertem Corpus deutlich als Gottesdienstraum. Gestaltet wurde es vom – bis 1996 in Marburg ansässigen – Bildhauer Johannes Schönert (* 1936 Leipzig), der in Leipzig gelernt und an der Frankfurter Städelschule bei Hans Mettel studiert hatte. Das zuvor genutzte, bauzeitliche Holzkreuz ohne Corpus hängt heute im Foyer des Zentrums.

    Darüber hinaus fertigte der Glasmaler Erhardt Jakobus Klonk (* 1932 Marburg), Sohn des ebenfalls als Glaskünstler bekannten Erhardt Klonk, 2005 für den evangelischen Kirchenraum zwei hochrechteckige Fensterflächen: das Taufe- und Abendmahlsfenster, beide mit stilisierten Motiven in kräftigen Farbtönen. 2010 kamen nach seinen Entwürfen neue Paramente hinzu. Im katholischen Kirchenraum ist vor allem der bauzeitliche Tabnakel zu nennen, dessen emailleverzierter Front in stilisierter Formensprache die biblische Erzählung vom ungläubigen Thomas aufgreift.

  • Von der Idee zum Bau

    Seit den frühen 1960er Jahren wurde in den Hängen südöstlich der Marburger Altstadt systematisch ein Neubaugebiet mit ein- bis zu mehrgeschossige Wohnbauten gestaltet, das sich selbst als Trabantenstadt verstand. Im unteren Richtsberg konnten sich beide Konfessionen schon Anfang/Mitte der 1960er Jahre jeweils eigene Räume sichern. Für den oberen Richtsberg nahmen die katholische und evangelische Gemeinde 1968 Gespräche für ein neues gemeinsames Zentrum auf.

    Aus einem beschränkten Wettbewerb ging 1970 das Theodor London Collective mit dem ersten Preis hervor und wurde schließlich mit der Ausführung beauftragt. Für das „Ökumenische Zentrum Marburg-Richtsberg“ konnte man 1971 die Bauarbeiten aufnehmen, am 13. Oktober 1972 den Grundstein legen und am 14. Oktober 1973 die Einweihung feiern. Damit ging der Bau in die Literatur ein als das erste gemeinsam von beiden Konfessionen geplante, durchgeführte und genutzte Gemeindezentrum der Bundesrepublik. (So diente z. B. das Ökumenische Zentrum in München bereits während der Olympischen Spiele 1972 den „Kirchlichen Diensten“, wurde aber erst 1974 geweiht und den beiden örtlichen Gemeinden zur Nutzung übergeben.) Mit Sicherheit kann das Ökumenische Zentrum in Marburgs „Trabantenstadt“ Richtsberg als ungewöhnlich frühes Beipiel seiner Art gelten.

  • Die Architektengruppe Theodor London Collective

    Die Architektengruppe „Theodor London Collective“ wurde von Dirk Bäumer (* 1936), Johann Georg (Graf zu) Solms (* 1938) und Karl Hermann Stärk (* 1939) – nach dem gemeinsamen Studium in Darmstadt – gegründet. Den Namen des Kollektivs wählten sie nach einer Metzgerei in der Nähe ihres Düsseldorfer Büros. Beim Wettbewerb für das Marburger Zentrum wurden sie unterstützt vom tschechischen Architekten Václav Šebek.

    Für Johann Georg Solms, der sein Adelsprädikat zeitweise bewusst nicht führte, bildete das Marburger Projekt seinen ersten – und bislang auch letzten – prominenten Kirchenbau, dem einige Wettbewerbsbeiträge für Kirchen und Gemeindezentren vorausgegangen waren. Auch von den übrigen Mitstreitern, deren berufliche Wege sich rasch wieder trennten, nahm keiner dauerhaft den Weg in den Kirchenbau: Šebek setzte seine Laufbahn in Prag fort, Stärk spezialisierte sich auf die Stadtplanung, Bäumer wechselte 1974 als Partner von Ferdinand Streb nach Hamburg.

  • Literatur (Auswahl)
    • Marta Binaghi: Ökumenische Kirchenzentren: Bild der Einheit oder Spiegel der Trennung? Architekturanalyse und theologisch-soziologische Reflexion, Regensburg 2015.
    • Festschrift zur Einweihung des Ökumenischen Gemeindezentrums Marburg-Richtsberg am 14. Oktober 1973, hrsg. von den Kirchenvorstände der Evangelischen Kirchengemeinde am Richtsberg und der Katholischen Pfarrgemeinde Liebfrauen, Marburg 1973.
    • Martin Görbing u. a. (Hg.): Planen. Bauen. Nutzen. Erfahrungen mit Gemeindezentren (Bild und Raum 3), Gießen 1981.
    • Ellen Kemp/Annekathrin Sitte-Köster (Bearb.): Stadt Marburg II. Stadterweiterungen und Stadtteile (Kulturdenkmäler in Hessen; Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland), hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden 2013.
    • Heinz Gerlach u. a.: Ökumenisches Gemeindezentrum Marburg-Richtsberg. Theodor London Collective, in: Kunst und Kirche 35, 1972, S. 87-90.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald (Beitrag online seit 04/2016)

Kirchen in der Nähe

Wetzlar | St. Bonifatius