Norderney

Stella Maris

Anschrift Kirche
Goebenstraße 1a
26548 Norderney

Die weiße Gegenwelt

„Immer wieder ein herrliches Erlebnis“, heißt es auf einem der typischen Plakate des Nordseeheilbads Norderney aus den frühen 1930er Jahren. Darauf zu sehen: eine sonnengebräunte Strandschönheit im taillierten Bade-Chic der Zeit, ein Pin-Up der Reiselust. Die Aussage dahinter: Die größte ostfriesische Insel ist jugendlich, sexy, modern eben. Nicht weniger modern als das damalige Insel-Image war ein Bau, der kurz zuvor unweit der belebten Strandpromenade entstand: Die Kirche Stella Maris bildete eine architektonische Gegenwelt zu den prächtigen Kurhotels. Bis heute steht sie dafür, dass bei der menschlichen Suche nach Erholung und Heilung auch die spirituelle Dimension nicht zu kurz kommen sollte.

  • Überblick
    Ort
    Norderney

    Bistum
    Bistum Osnabrück

    Name der Kirche
    Stella Maris

    Weihe
    1931/32

    Architekt
    Dominikus Böhm

    Künstler
    Richard Seewald
    Besonderheit
    Für Stella Maris ließ Dominikus Böhm zum ersten Mal sämtliche historischen Assoziationsmöglichkeiten beiseite und wählte den strengen Bauhaus-Funktionalismus. Damit bildet die Kirche ein architektonisches und pastorales Kleinod in einer der beliebtesten Urlaubsregionen Deutschlands.

    Nutzung
    Filialkirche der katholischen Pfarrei Norderney (Pfarreiengemeinschaft Küste)

    Standort / Städtebau
    Stella Maris liegt in einer unauffälligen Nebenstraße zwischen der Strandpromenade und der zentralen Friedrichstraße.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Norderney | Stella Maris | Grundriss

    Norderney | Stella Maris | Grundriss

    Stella Maris gründet auf einem nahezu quadratischen Grundriss. Das monumentale Eingangsportal, das gleichzeitig auch den Treppenzugang zur Empore birgt, lehnt sich asymmetrisch an die Straßenseite des Baus an. Der Innenraum selbst ist je zur Hälfte in ein Haupt- und ein Seitenschiff unterteilt, die durch schlanke Stahlträger voneinander getrennt werden. Ein langgezogener, in der Außenwirkung markanter Anbau mit Gemeinderäumen wurde erst später im Rahmen von Erweiterungsmaßnahmen (1978-80) an den ursprünglich freistehenden Kirchenbau angefügt.

     

    Außenbau

    Norderney | Stella Maris | Foto: Nicol Zimmermann, Düsseldorf

    Norderney | Stella Maris | Foto: Nicol Zimmermann, Düsseldorf

    Stella Maris ist als „Kirche am Weg“ konzipiert: Ein übergroßes Portal lädt den Besucher zum Betreten ein. Das Straßenpflaster aus rotem Backstein setzt sich ohne Unterbrechung im Kirchenraum fort. Nur der Windfang aus Glas und Stahl (aus der letzten Renovierung 2007-08) bildet eine Schwellensituation, die den Schritt verlangsamt. Hinter dem Eingangsportal erstreckt sich parallel zur Straße der eigentliche Kirchenbau – ein geschlossen wirkender, kubischer Putzbau mit flachem, zur Rückseite abfallenden Pultdach, vor dem sich ein kleiner ummauerter Vorhof mit Baum erstreckt. Das freistehende Holzkreuz, eine Idee des Architekten Dominikus Böhm, macht das Gebäude als Kirche kenntlich.

     

    Innenraum

    Norderney | Stella Maris | Foto: Nicol Zimmermann, Düsseldorf

    Norderney | Stella Maris | Foto: Nicol Zimmermann, Düsseldorf

    Der hohe, kubische Innenraum öffnet sich zu einem niedrigen, ebenso breiten Seitenschiff. Drei Stahlträger in Doppel-T-Profilen stützen zum einen die Mauerschale und lassen zum anderen von jedem Punkt im Raum den Blick auf das Altarpodest zu, das sich in die südwestliche Ecke einfügt. Nur wenige Fensteröffnungen – man beachte vor allem das Rundfenster über der Empore sowie das Rechteckfenster im Altarraum, beides Entwürfe Böhms – tauchen den fast schmucklosen Raum mit den schlichten Bankreihen in ein fast mystisch wirkendes Licht.

  • Liturgie und Raum
    Norderney | Stella Maris | Tabernakel | Foto: Nicol Zimmermann, Düsseldorf

    Norderney | Stella Maris | Tabernakel | Foto: Nicol Zimmermann, Düsseldorf

    Der Architekt Dominikus Böhm war geprägt von den liturgischen Impulsen des rheinischen Großstadtseelsorgers Johannes van Acken, die sich in dessen Schrift „Christozentrische Kirchenkunst“ (2. Auflage 1923) niederschlugen: Der ganze Kirchenraum sei vom Altar her, dem mystischen Christus, zu denken und zu gestalten. Auch Stella Maris folgte diesem Konzept. Ursprünglich setzte sich das rote Backsteinpflaster fort in den Stufen des Marmoraltars, der direkt an der Stirnwand des Hauptschiffes, unter dem monumentalen Gemälde von Richard Seewald, aufgestellt war. Die von 2007 bis 2008 völlig neu gestaltete Altarinsel lehnt sich in ihren Proportionen weitgehend an die Ursprungskonzeption Böhms an. Der grünlich-graue Sandstein, in dem alle wichtigen Handlungsorte und Ausstattungsstücke (mit Ausnahme des Tabernakels, einer älteren, lokalen Treibarbeit) gehalten sind, orientiert sich nun farblich am Gemälde Seewalds. Das gesamte Ensemble möchte seinen Charakter als Neuschöpfung innerhalb des Böhmschen Raums nicht verbergen, was jedoch leider das eigentliche Leitmotiv des Baus, die Pflasterung der Straße bis zum Altar fortzuführen, verdunkelt.

  • Ausstattung
    Norderney | Stella Maris | Altarbild | Foto: Nicol Zimmermann, Düsseldorf

    Norderney | Stella Maris | Altarbild | Foto: Nicol Zimmermann, Düsseldorf

    Der puristische Innenraum kommt mit nur wenigen Ausstattungsstücken aus – zu dominant war der Einfluss des Architekten Dominikus Böhm, der die Autonomie seiner gebauten Formen gewahrt haben wollte. Zu den Malern, mit denen Böhm zusammenarbeiten wollte, gehörte der Konvertit und Maler Richard Seewald (1889-1976), wie er ein Professor an den Kölner Werkschulen. Er schuf 1931 das monumentale Gemälde, das damals wie heute die Wandfläche hinter dem Altar schmückt. Es zeigt Maria als „Stern des Meeres“, das Jesuskind auf dem Arm haltend. Scheinbar leichtfüßig schreitet sie auf den Meereswogen dahin. Unter ihr befindet sich eine stilisierte Ansicht von Norderney, im Zentrum der Leuchtturm aus dem 19. Jahrhundert, das höchste Bauwerk der Insel, in dessen Lichtsignal Worte aus Psalm 97 erscheinen: „Laetantur insulae multae, exsultet terra.“ – „Freuen sollen sich die vielen Inseln, frohlocken die Erde.“ Zwölf Schaluppen sowie allerlei Meeresgetier komplettieren die maritime Szenerie, die auch eine katechetische Zielrichtung besitzt.

  • Von der Idee zum Bau

    Bereits seit 1884 stand auf der protestantisch geprägten Insel Norderney ein katholischer Kirchenbau, der vor allem den ansteigenden Bädertourismus bedienen sollte: St. Ludgerus, eine kleine neogotische Saalkirche mit angrenzendem Pfarrhaus. Florierende Urlauberzahlen und die Einrichtung mehrerer Kindererholungsheime machten jedoch nach dem Ersten Weltkrieg den Bau eines größeren Gotteshauses notwendig. Kein Geringerer als Dominikus Böhm, einer der renommiertesten Architekten des Deutschen Reichs, konnte für die Planung gewonnen werden. Nach kurzer Bauzeit erfolgte 1931 oder 1932 (die Angaben dazu sind unterschiedlich) die Fertigstellung der nur wenige Meter von St. Ludgerus entfernten Sommerkirche Beata Maria Virgo Stella Maris (Patrozinium: Mariä Geburt), in der Kurgäste und Heimkinder von Juni bis September eine geistliche Heimat finden sollten.

    Norderney | Stella Maris | Zugang | Foto: Manuel Uder

    Norderney | Stella Maris | Zugang | Foto: Manuel Uder

    Einen einschneidenden Umbau, der Böhms ursprüngliches Raumkonzept sowie die straßenseitige Wirkung von Stella Maris nachhaltig veränderte, fand 1978 bis 1980 durch den Münsteraner Dombaumeister Eberhard Michael Kleffner statt. Noch heute erhalten ist der südlich an die Kirche anschließende, sehr umstrittene Erweiterungsbau mit seinem zur Straße hin spitz vorspringenden Fenstererker. Der Anbau enthielt u. a. einen Gemeinderaum, der bei Bedarf dem Kirchenraum zugeschaltet werden konnte – ein Durchbruch in der Stirnwand des Seitenschiffs, der mit mobilen Wandelementen geschlossen werden konnte, machte dies möglich. Ein „Rückbau“ hin zur ursprünglichen Raumkonzeption Böhms erfolgte wieder 2007 bis 2008 durch den Düsseldorfer Architekten Bruno Braun, auf den auch die heutige Altarinsel mit den liturgischen Handlungsorten zurückgeht.

  • Der Architekt Dominikus Böhm

    Portrait Dominikus Böhm | Foto: Hugo Schmölz

    Dominikus Böhm (1880-1955) ließ gerade in seinen zahlreichen Kirchenbauten zwischen den beiden Weltkriegen eine besondere Experimentierfreude und künstlerische Risikobereitschaft erkennen. Innerhalb weniger Jahre bedient er sich ohne Einschränkungen und mit rasanter Geschwindigkeit einer großen Vielfalt an Formen und Motiven, wobei vor allem frühchristliche und mittelalterliche Anklänge zu beobachten sind. Anders sah es 1931 im Falle von Stella Maris in Norderney aus: Hier ließ Böhm zum ersten Mal in seiner bisherigen Schaffenszeit sämtliche historischen Assoziationsmöglichkeiten beiseite und wählte den strengen Bauhaus-Funktionalismus – ein „internationaler Stil für ein freilich wohl doch nicht allzu internationales Publikum“ (Wolfgang Pehnt). Damit lehnt sich Stella Maris formal an die wegweisende Aachener Fronleichnamskirche (1930) von Rudolf Schwarz an.

  • Literatur (Auswahl)
    • Josef Habbel (Hg.): Dominikus Böhm. Ein deutscher Baumeister, Regensburg 1943, 131-132.
    • August Hoff u. a.: Dominikus Böhm, München 1962, 286-289, 509.
    • Ulrich Schmalstieg: „Die Straße führt in die Kirche!“ Aufwändige Neugestaltungen der katholischen Kirchen Norderneys durch den Düsseldorfer Architekten Bruno Braun, in: Das Münster 62, 2009, 26-33.
    • Ingrid Winkler: Entstehung und Entwicklung der Katholischen Kirchengemeinde St. Ludgerus auf Norderney, in: Heinrich Smeins: Norderney auf dem Weg in das dritte Jahrtausend. Geschichte und Gegenwart der Nordseeinsel Norderney, Band 2, Norderney 1993, 102-107.
    • Walter Zahner: St. Ludgerus und Stella Maris Norderney, Lindenberg 2009.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Manuel Uder M. A., Trier (Beitrag online seit 12/2016)

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