Bad Hersfeld-Hohe Luft

St. Bonifatius

Anschrift Kirche
Dreherstraße 26
36251 Bad Hersfeld-Hohe Luft

Drahtseilakt …

Expressiv geschwungen, so präsentiert sich St. Bonifatius mit lochgitterartig durchbrochenen Stahlbetonwänden und seinem doppelt gekrümmtem Dach. In der nordhessischen Diaspora, in Bad Hersfeld-Hohe Luft wagten die Architekten Bernhard und Georg Lippsmeier 1957 einen kühnen „Drahtseilakt“ zwischen Zweckdienlichkeit und moderner Technik: Sie überspannten den parabelförmigen Kirchenbau mit einem Drahtseilnetz, das nochmals mit einer elastischen Dachhaut aus vliesarmiertem Flüssigkunststoff überzogen wurde.

  • Überblick
    Ort
    Bad Hersfeld-Hohe Luft

    Bistum
    Bistum Fulda

    Name der Kirche
    St. Bonifatius

    Weihe
    1957 (14. Juli)

    Architekten
    Bernhard Lippsmeier, Georg Lippsmeier

    Künstler
    Ernst Rasche, Heinz Siebert
    Besonderheit
    Der geschwungene Stahlbetonbau auf parabelförmigem Grundriss wird von einer hyperbolisch-paraboloiden Dachkonstruktion aus Drahtseilnetz mit vliesarmierter Dachhaut überfangen.

    Nutzung
    Kirche innerhalb der Pfarrgemeinde St. Lullus Bad Hersfeld/Niederaula-Kirchheim

    Standort / Städtebau
    St. Bonifatius ist im neu gegründeten Bad Hersfelder Stadtteil Hohe Luft verortet, der nach 1945 u. a. durch den Zuzug von Flüchtlingen expandierte. Mehrere Meter oberhalb des Straßenniveaus erhebt sich der Kirchenbau auf einem leicht zurückliegenden Plateau und ist über einen Aufgang mit Stufen erreichbar.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Grundriss

    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Grundriss

    Der Grundriss zeigt eine Parabel, die einen stützenlosen Kirchenraum umfängt. Im Osten, im Brennpunkt der geschwungenen Form, finden sich die liturgischen Orte: Altar, Ambo und Tabernakel. An der geöffneten Nordwestseite schließt der Raum mit einem Vorbau (Orgelempore), zwei kubischen Eingangshallen und dem mittig vorgelagertem Glockenturm. Nordöstlich des Chors gliedern sich Sakristei, Kindergarten und Pfarrheim an. Das Pfarrhaus wurde auf demselben Grundstück errichtet.

     

    Außenbau

    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Außenbau | Foto: Johanna Anders

    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Foto: Johanna Anders

    Der Außenbau wird geprägt von den Sichtbetonfassaden der Parabel, die ein Raster runder farbiger Glasprismen durchbricht. Zwischen Raumschale und Vorbau ist die konvex gewölbte Hauptfassade großflächig klar verglast. Die beiden Betonscheiben des vorgelagerten Turms fassen eine Glockenstube. Überspannt wird der Bau durch ein feinmaschiges Drahtseilnetz, das an einem umlaufenden Betonbalken verankert ist und mit einer elastischen Dachhaut aus vliesarmiertem Flüssigkunststoff abschließt.

     

    Innenraum

    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Innenraum | Foto: Johanna Anders

    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Foto: Johanna Anders

    Den Innenraum überfängt eine doppelt gekrümmte Seilnetzkonstruktion mit sichtbarem Drahtseilraster. An den Seitenwänden setzen die kleinen Rundfenster farbige Akzente, die sich nach Osten, zum Brennpunkt der Parabel bis zum intensiven Rot steigern. Den Altarbereich belichten zusätzlich drei in die Decke eingelassene, runde Plexiglas-Okuli. Der durchgehende Bodenbelag aus hellen, unregelmäßig verlegten Sonthofener Steinplatten unterstreicht die Einheitlichkeit des schlichten Kirchenraums.

  • Liturgie und Raum
    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Apostelkreuze | Foto: Johanna Anders

    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Apostelkreuze | Foto: Johanna Anders

    St. Bonifatius wurde vor der Liturgiereform als klassische Wegkirche errichtet. Ungewöhnlich für einen Diasporabau dieser Zeit ist hingegen der gewählte Grundriss: die Parabel. Sie soll an die ausgebreiteten Arme erinnern, mit denen Jesus seine Gemeinde auf dem Weg zum Altar umfängt. Damit bezogen sich die Architekten zugleich auf den als „Heiligen Wurf“ bezeichneten Archetypen des Kirchenbaumeisters Rudolf Schwarz. In Bad Hersfeld wird der bei Schwarz angelegte Gemeinschaftsgedanke durch ein raumüberspannendes geschwungenes Dach zusätzlich betont.

  • Ausstattung
    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Tabernakel | Foto: Johanna Anders

    Bad Hersfeld-Hohe Luft | St. Bonifatius | Tabernakel | Foto: Johanna Anders

    Im Brennpunkt der Parabel finden sich die liturgischen Orte Altar, Tabernakelstele und Ambo aus Michelnauer Rotlava. 1978 wurde der Altar im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils von der Wand abgerückt und „verkleinert“. Aus den „überflüssig“ gewordenen Enden seiner Mensa fertigte man Figurenkonsolen und Wandhalterungen für die Apostelleuchter. Die bronzene Relieffront des Tabernakels, den Heinz Siebert 1979 gestaltete, zeigt Christus mit zwei Jüngern beim Mahl zu Emmaus. Über dem Altar setzt sich das Hängekreuz (1960) des Bildhauers Ernst Rasche aus zwei Teilen zusammen: Der Corpus aus afrikanischem Ebenholz wird von einem Kreuz aus Kupferbändern, Holz und Bergkristallen getragen.

    Das Taufbecken aus Rotlava wurde als Symbol des Eintritts axial auf den Altar ausgerichtet und unter der Empore verortet. Hier haben auch eine gusssteinerne Marienfigur mit Christuskind (zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts) sowie zwei hölzerne Statuen des Hl. Bonifatius (1978) und des Hl. Antonius ihren Platz. Hinzu kamen die Orgel im Jahr 1964 sowie seit 1958 drei Glocken: Auf eine erste Bronzeglocke aus der Glockengießerei Münster folgten 1997 eine Bonifatius- und eine Stefanus-Glocke aus der Heilbronner Glockengießerei Bachert.

  • Von der Idee zum Bau

    Mit dem Zuzug von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen stieg die Zahl der Katholiken im Diaspora-Gebiet Bad Hersfeld rasant. Zunächst wurde der Stadtteil Hohe Luft seelsorgerlich durch die Muttergemeinde St. Lullus-Sturmius versorgt. Doch bereits 1955 gründete die entstehende Gemeinde am Hang des Petersberges den „Katholischen Kirchenbau-Verein Hohe Luft“. Finanziell gefördert durch Bonifatiuswerk, Bistum und eine großzügige private amerikanische Spenderin, konnte 1956 der erste Spatenstich und 1957 die Weihe des Neubaus erfolgen. Mit den Entwürfen hatte man die Architekten Bernhard und Georg Lippsmeier beauftragt. In den Jahren 2012 bis 2014 wurde die denkmalgeschützte Kirche durch das Erfurter Büro Glasebach Architekten saniert.

  • Die Architekten Bernhard und Georg Lippsmeier

    Die Architekten Bernhard und Georg Lippsmeier – Vater und Sohn – schufen in den 1950er Jahren ein beachtliches Werk an Diasporakirchen: Ob gemeinsam oder in Einzelprojekten, allein im Bistum Fulda gestalteten sie 23 Gottesdiensträume. Berhard Lippsmeier (1885-1958) absolvierte eine Mauerlehre und eine Bautechnikerausbildung an der Kunstgewerbe- und Königlichen Bauwerkschule in Barmen-Elberfeld, um im Anschluss im Magdeburger Siedlungsbau zu arbeiten. Nach einer Zwischenstation in Oschersleben war er nach dem Zweiten Weltkrieg als Vertrauensarchitekt für das Paderborner Bonifatiuswerk und als Kirchbaumeister tätig.

    Dr. Georg Lippsmeier (1923-1991), geboren in Magdeburg, studierte von 1945 bis 1949 an der TH Braunschweig. 1950 gründete er ein Büro in Düsseldorf und promovierte 1953 in Braunschweig zum Katholischen Notkirchenbau. Büros in Starnberg (1960) und Afrika folgten. Das Büro Lippsmeier + Partner ist seitdem (und heute bereits in dritter Generation) hauptsächlich in der sozialen und temporären Architektur (deutsche Expo-Beteiligung) sowie im weltweiten Messe-, Event- und Tropenbau tätig.

  • Literatur (Auswahl)
    • Johanna Anders: Neue Kirchen in der Diaspora. Eine Studie zu den Kirchenneubauten nach 1945 im nordhessischen Teil des Bistums Fulda, Kassel 2014, 111, 149 (Objektkatalog) [zugl. Diss., Kassel, 2012].
    • Werner Glasebach: Bad Hersfeld, Pfarrkirche, Gesamtsanierung, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 67, 2015, 415-417.
    • Georg Lippsmeier: Notkirchen in der katholischen Diaspora, Diss., Braunschweig, 1953.
    • Pfarrführer zu Bad Hersfeld Hohe Luft, hg. vom Pfarramt St. Bonifatius, Bad Hersfeld – Hohe Luft, Bad Hersfeld 1963.
    • St. Bonifatius, Bad Hersfeld-Hohe Luft. Pfarrschrift anlässlich des 25jährigen Pfarrjubiläums, hg. vom Pfarramt St. Bonifatius, Bad Hersfeld-Hohe Luft, Bad Hersfeld 1982.
    • Thomas Wiegand (Bearb.), Landkreis Hersfeld-Rotenburg. Bd. 3. Stadt Bad Hersfeld (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen), hg. vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden 1999, 321.
    • 50 Jahre St. Bonifatius Bad Hersfeld 1957-2007, hg. von der Kirchengemeinde St. Bonifatius Bad Hersfeld, Bad Hersfeld 2007.
    • Internetauftritt des Erfurter Architekturbüros Glasebach

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Johanna Anders, Helsa (Beitrag online seit 02/2016)

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