Frankfurt am Main

Gustav-Adolf-Kirche

Anschrift Kirche
Alt-Niederursel 30
60439 Frankfurt am Main

„Heilige Nüchternheit“

Wie eine Krone überragt die Gustav-Adolf-Kirche den historischen Ortskern von Niederursel – ein kantiger Betonbau, umgeben von einem kleinteiligen Fachwerk-Ensemble. Was hätte grandios scheitern können, gelang Baudirektor Martin Elsaesser 1928 in Vollendung: Er brachte die Moderne in den dörflich geprägten Norden von Frankfurt, das sich damals zum Zentrum des Neuen Bauens aufschwang. Es sollte die letzte ausgeführte Kirche Elsaessers werden, denn schon kurz darauf endete das „Experiment Moderne“ am Main. Als eines seiner Glanzstücke blieb die Gustav-Adolf-Kirche erhalten, die mit ihrem achteckigen Grundriss ebenso liturgisch Zeichen setzte. Der Architekt sprach von einer „heiligen Nüchternheit“. Dieser Ort macht sie erfahrbar.

  • Überblick
    Ort
    Frankfurt am Main

    Landeskirche
    Evangelische Kirche in Hessen und Nassau


    Name der Kirche
    Gustav-Adolf-Kirche

    Einweihung
    1928 (8. April)

    Architekten
    Martin Elsaesser, Gerhard Planck

    Künstler
    Marianne Scherer-Neufarth
    Besonderheit
    Für Niederursel gestaltete Martin Elsaesser 1928 eine "Dorfkirche" in der Stadt – und zum einzigen Mal in seinem Werk eine Kirche als reinen Zentralraum.

    Nutzung
    Gemeindekirche

    Standort / Städtebau
    Im Norden Frankfurts, im dörflich geprägten Stadtteil Niederursel, wo die Kirchgartenstraße auf die Straße Alt-Niederursel trifft, liegt die klare moderne Gustav-Adolf-Kirche deutlich erhöht zwischen historischen Fachwerkhäusern.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Grundriss

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Grundriss

    Die Gustav-Adolf-Kirche erhebt sich auf einem achteckigen Grundriss, dem jeweils in gebrochenen vieleckigen Formen die verschiedenen Anbauten angegliedert sind: im Südosten der Eingang mit Vorhalle und Treppenhaus, im Süden die Taufkapelle, im Südwesten der Turm mit einem weiteren Treppenhaus, im Nordwesten der Ausläufer des Altarraums mit dahinterliegender Sakristei.

     

     

     

     

    Außenbau

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Außenbau | Foto: Daniel Bartetzko

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Foto: Daniel Bartetzko

    Durch die eng bebaute Dorfsituation ist die Kirche nie im Ganzen zu sehen. Das zur Straße Alt-Niederursel erhöhte Grundstück wird zudem von einer historischen Sockelmauer umgeben. Darüber zeigt sich die Konstruktion aus Mauerwerk und Eisenbeton verputzt, vorwiegend ungegliedert und von den Gebäudeteilen wie Turm und Treppenhaus eingefasst. Erst im oberen Bereich ist das Achteck des Zentralraums zweifelsfrei abzulesen. Hier bildet ein umlaufendes Fensterband – mit seinen „Betonsprossen“ als Fachwerkzitat deutbar – über dem Altar fünf Zeilen, ansonsten drei Zeilen aus. Auch das Treppenhaus und der rund 30 Meter hohe Turm weisen bandförmige Fenster- bzw. Schallöffnungen auf. Zuletzt überfängt ein Zeltdach, eine Betonkonstruktion mit Kupferdeckung, den Zentralraum. Das abfallende Grundstück nutzend, führt ein Zugang von der Straße ebenerdig zur Sakristei sowie zu Konfirmanden- und Gemeindesaal, die sich unter dem Gottesdienstraum befinden.

     

    Innenraum

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Innenraum | Foto: Daniel Bartetzko

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Foto: Daniel Bartetzko

    Der Besucher erreicht die Kirche in der Regel von Süden über den erhöht gelegenen Vorplatz. Über den Windfang kann er entweder links die Taufkapelle oder geradeaus den Gottesdienstraum auf achteckigem Grundriss betreten, den die Spitze des Zeltdachs gleichwohl zentriert. Jedoch weist die Bestuhlung nach Nordwesten, wo zwei Stufen zum Altarbereich führen. Der Altarblock ist bis an die Wand gerückt, darüber der Kanzelkorb angebracht. Gegenüber der Altarwand, über dem Eingang, findet sich die Orgelempore. Die verputzten Innenwände zeigen heute, in Anlehnung an die originale Farbfassung, helles Rot, Graublau und Weiß. Die Scheiben des Fensterbands wurden in Klarglas, über der Empore in mattiertem Glas wiederhergestellt.

  • Liturgie und Raum
    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Empore | Foto: Daniel Bartetzko

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Empore | Foto: Daniel Bartetzko

    „Nicht in den Mitteln soll sich die Kirche vom Profanbau unterscheiden, sondern in der geistigen Haltung, in dem lebendigen Ausdruck des darin enthaltenen Geschehens.“ Seinen 1930 formulierten Anspruch löste Martin Elsaesser schon 1928 in Niederursel ein. Denn nicht seine klare „weltliche“ Formensprache, sondern sein achteckiges Inneres kennzeichnete den Raum als einen liturgischen. Spätestens seit der Wiesbadener Ringkirche (1894, Johannes Otzen) hatte der protestantische Kirchenbau den – im Barock schon einmal zur Idealform erhobenen – Zentralraum wiederentdeckt. Mit der Waldkirche Planegg ging der Architekt Theodor Fischer 1926 erstmals soweit, den Altar ins Zentrum eines achteckigen Grundrisses zu setzen und darum Bänke und Empore zu gruppieren. Der jüngere, von Fischer beeinflusste Elsaesser wählte für Niederursel eine ähnliche Lösung, doch rückte er den Altar an die Nordwestwand des Oktogons und stellte ihm im Südosten eine Empore gegenüber. Damit verband er zwei scheinbare Gegensätze: die vertraute Ausrichtung auf den entfernten Altar und den liturgisch reformerischen Zentralraum.

  • Ausstattung
    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Altarbereich | Foto: Daniel Bartetzko

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Altarbereich | Foto: Daniel Bartetzko

    In die Gustav-Adolf-Kirche wurden Überbleibsel ihres Vorgängerbaus einbezogen, so finden sich z. B. in der Außenwand des östlichen Treppenturms bis heute drei historische Grabsteine. Zur Bauzeit zeigten die hölzernen Sprossen des (nur über der Orgel von Schallöffnungen unterbrochenen) Fensterbands rote Farbe. Die – teils als Matt-, teils als Klarglas ausgeführten – Scheiben wurden vermutlich durch eine elektrische Beleuchtung (Glühbirnen und Leuchtstoffröhren) zusätzlich inszeniert. Die zum Altarbereich gehörigen Wände zeigten eine Ausmalung mit biblischen Sprüchen, einer Heilig-Geist-Taube und einem Kreuz. In den späten 1950er Jahren unternahm die Bauabteilung des Evangelischen Regionalverbands eine Neugestaltung des Innenraums. Hierbei wurden die Farbgebung vereinheitlicht, neue Bibelsprüche auf die Wände aufgebracht sowie die Schranken zwischen Altar- und Gemeinderaum entfernt. Die Kelsterbacher Künstlerin Marianne Scherer-Neufahrth schuf abstrakt-farbige Bleigläser für das Fensterband und Arnold Rakete, Architekt der Bauabteilung, entwarf ein Altarkreuz. Bis zum Frühjahr 2017 führte man den Kirchenraum weitgehend in die von Elsaesser gewählte Ausgestaltung zurück, wofür die Altarschranken rekonstruiert, die malerische Gestaltung des Altarbereichs freigelegt, das Altarkreuz und die Scherer-Neufahrth-Fenster entfernt wurden.

  • Von der Idee zum Bau
    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Aufnahme um 1928 | Quelle: M. Göllner/M. Elsaesser: Bauten und Entwürfe, Berlin 1933

    Frankfurt am Main | Gustav-Adolf-Kirche | Aufnahme um 1928 | Quelle: M. Göllner/M. Elsaesser: Bauten und Entwürfe, Berlin 1933

    Mitte der 1920er Jahre verzeichnete Niederursel, das seit 1910 zur Stadt Frankfurt gehörte rund 2.000 Bewohner. Die Protestanten vor Ort zählten seit 1921 zum Stadtsynodalverband Frankfurt und strebten ab 1925 einen größeren Kirchenraum an. Zunächst dachte man an eine Erweiterung der denkmalgeschützten mittelalterlichen St. Georgskirche. Im Verlauf der Gespräche geriet das Vorhaben aber zum Neubau. Beauftragt wurde der Stadtbaudirektor Martin Elsaesser, der dem bestehenden Turm zuvor schon als Gutachter seine Baufälligkeit bescheinigt hatte. Die Neubaupläne unterzeichnete er gemeinsam mit Gerhard Planck, mit dem er für dieses Projekt eine Architektengemeinschaft bildete. Am 19. Juni 1927 legte die Gemeinde den Grundstein für den Neubau, der am 8. April 1928 eingeweiht wurde. Nach dem Krieg, den die Kirche nahezu unbeschadet überstanden hatte, renovierte man den Bau in den späten 1950er, in den späten 1970er Jahren – und zuletzt bis 2017 (Evangelischer Regionalverband mit dreysse-architekten).

  • Der Architekt Martin Elsaesser
    Frankfurt am Main | Großmarkthalle im Jahr 2002 | Foto: Christos Vittoratos, CC BY SA 4.0

    Frankfurt am Main | Großmarkthalle im Jahr 2002 | Foto: Christos Vittoratos, CC BY SA 4.0

    Geboren am 28. Mai 1884 als Sohn eines Tübinger Theologen, studierte Martin Elsaesser in Stuttgart und München Architektur. Geprägt wurde er in diesen Jahren und in seiner folgenden Lehrtätigkeit an der TH Stuttgart vor allem durch Theodor Fischer und Paul Bonatz. Elsaessers bekanntestes Werk dieser Phase dürfte die Stuttgarter Markthalle (1914) sein. 1920 wurde er als Direktor an die Kölner Kunstgewerbeschule berufen, bevor er 1925 als Baudirektor nach Frankfurt wechselte. Die Mainmetropole avancierte damals unter Bürgermeister Ludwig Landmann und mit dem Stadtplaner Ernst May zu einem der Zentren des Neuen Bauens. Martin Elsaessers populärster Bau dieses Neuen Frankfurt war wieder eine Markthalle – in diesem Fall die Großmarkthalle (1928), die heute Teil der Europäischen Zentralbank (EZB) ist.

    In den 1930er und frühen 1940er Jahren verschob sich der Radius von Elsaesser, er baute von Hamburg bis Ankara. Nach Kriegsende sind noch einzelne Werke vor allem im Profanbau zu verzeichnen, zudem übernahm er eine Lehrstuhlvertretung in München. Martin Elsaesser starb am 8. August 1957 im Alter von 73 Jahren in Stuttgart. Das kirchliche Werk Elsaessers reicht von Neobarock-Jugendstil-Entwürfen wie die Evangelische Kirche in Stuttgart-Gaisburg (1913) bis zu deutlich expressionistischen Bauten wie die Esslinger Südkirche (1926). Zudem galt er als Spezialist für die Übernahme historischer Versatzstücke aus Vorgängerbauten, so z. B. bei der Laurentiuskirche (1926) in Stuttgart-Rohr. Der Gustav-Adolf-Kirche kommt bei Elsaesser eine Sonderstellung zu: Es handelt sich nicht nur um seine letzte umgesetzte Kirche, sondern auch um die einzige Predigtstätte, die er als reinen Zentralraum verwirklichte.

  • Literatur (Auswahl)
    • Florian Afflerbach/Jörg Schilling: Gustav-Adolf-Kirche Niederursel in Frankfurt am Main 1927-1928 (martin-elsaesser-bauhefte 2), Frankfurt am Main 2013.
    • Max Göllner/Martin Elsaesser: Bauten und Entwürfe. Aus den Jahren 1924-1932, Berlin 1933 [hieraus entnommen die historischen Schwarzweiß-Abbildungen].
    • Joachim Proescholdt/Jürgen Telschow: Frankfurts evangelische Kirchen im Wandel der Zeit, Frankfurt am Main 2011.
    • Heike Risse: Frühe Moderne in Frankfurt am Main 1920-1923, Architektur der zwanziger Jahre in Frankfurt a. M. Traditionalismus – Expressionismus – Neue Sachlichkeit (Frankfurt am Main. Beiträge zur Stadtentwicklung), Frankfurt am Main 1984.
    • Elisabeth Spitzbart/Jörg Schilling: Martin Elsaesser. Kirchenbauten, Pfarr- und Gemeindehäuser, Tübingen/Berlin 2014.
    • Internetauftritt der Martin-Elsässer-Stiftung Frankfurt: www.martin-elsaesser-stiftung.de [Abrufdatum: 1. März 2017].

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Daniel Bartetzko M. A., Frankfurt am Main (Beitrag online seit 03/2017)

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