Friedland

St. Norbert

Anschrift Kirche
St. Norbertplatz 2
37133 Friedland
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche 05504/ 1220
    E-Mail
    Bitte im Pfarrbüro erfragen!
    Anschrift Pfarramt Pfarrgemeinde Maria Königin des Friedens
    Sandersbeek 1
    37085 Göttingen
    0551/ 794040
    E-Mail
    Zur Webseite
    Öffnungszeiten Pfarramt Dienstag 15:00 – 17:00 Uhr
    Donnerstag 10:00 – 12:00 Uhr
    Gottesdienstzeiten Kirche Die Gottesdienstzeiten können online abgerufen werden unter: www.maria-frieden-goettingen.de/gottesdienste/st-norbert
    Kirchen im Norden

Alte und neue Heimat

Gleich neben Lagerbaracken und Nissenhütten ließ 1955 der damalige Pfarrer die Kirche St. Norbert im Grenzdurchgangslager Friedland errichten. Von Anfang an war sie eine Anlaufstelle für Heimkehrer, Flüchtlinge, Vertriebene und Heimatlose. Weite Teile der Ausstattung sind darauf ausgerichtet, Heimkehrende und Heimatsuchende willkommen zu heißen und Hoffnung auf Neuanfang zu schenken. Mit seinem Grundverständnis „Wir brauchen nicht nur Häuser zum Wohnen, sondern auch ein Haus für die Seele“ setzte sich der spätere Ehrendomkapitular Prälat Dr. Josef Krahe bereits ab seinem Stellenantritt als Lagerpfarrer 1948 mit aller Kraft für die Menschen seiner stetig wachsenden Gemeinde ein. Die enge Verknüpfung von Ausstattung und Geschichte erhebt St. Norbert zu einer der bedeutendsten Kirchen der Nachkriegszeit im Bistum Hildesheim. Noch heute ist Friedland Anlaufpunkt für Spätaussiedler und seit 2011 auch Aufnahmestelle für Asylbewerber.

  • Überblick
    Ort
    Friedland

    Bistum
    Bistum Hildesheim

    Name der Kirche
    St. Norbert

    Weihe
    1955 (18. Dezember)

    Architekt
    Friedrich Wagener

    Künstler
    Christa Adrian, Grete Badenheuer, Ludwig Baur, Claus Kilian, Yrsa von Leistner, Hein Minkenberg
    Besonderheit
    Die künstlerische Ausstattung der Pfarrkirche des ehem. Grenz- und Auffanglagers Friedland nähert sich dem Thema Kriegsleid, Heimatlosigkeit und Flucht immer wieder aufs Neue.

    Nutzung
    Filialkirche der Pfarrei Maria Königin des Friedens (Göttingen)

    Standort / Städtebau
    St. Norbert befindet sich an der Heimkehrerstraße inmitten des Grenzdurchgangslagers Friedland, zwischen westlichem und östlichem Lagerteil. Das Lager ist heute ein Standort der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Friedland | St. Norbert | Grundriss

    Friedland | St. Norbert | Grundriss

    Über einem längsrechteckigen Grundriss erhebt sich die geostete Saalkirche mit einem niedrigen Seitenschiff im Süden. In der westlichen Verlängerung des Seitenschiffs befindet sich eine im Inneren kreisrunde Taufkapelle. Im Nordwesten ist ein separat errichteter, niedriger Treppenturm mit quadratischem Grundriss angegliedert, der neben dem Zugang zur westlichen Orgelempore auch als Nebeneingang dient. Des Weiteren finden sich links und rechts der Eingangshalle zwei Beichtkapellen. Der flach geschlossene Altarraum ist an der Südseite leicht eingezogen und gegenüber dem Schiff um vier Stufen erhöht. An der Nordseite ist dieser durchfenstert; an der Südseite schließen sich die Sakristei und ein Durchgangsraum an, über den der südöstliche Glockenturm zugänglich ist. Dieser fungiert zugleich als Verbindungsbauwerk zwischen Kirche und Pfarrhaus.

     

    Außenbau

    Friedland | St. Norbert | Außenbau | Foto: Peter Heller

    Friedland | St. Norbert | Foto: Peter Heller

    Die rundum verklinkerte Backsteinkirche erweist sich außen als kompakter Bau mit nur wenigen Akzentuierungen. Allein die Fensterlaibungen sind aus Sichtbeton gefertigt. Ein rot gedecktes Satteldach erhebt sich ohne Traufe über dem Hauptschiff, während das niedrige Seitenschiff flach gedeckt ist. Ein flaches Oberlicht markiert dort den Ort der Taufkapelle. In die Fassade des Hauptbaus sind ein zweiflügeliges Rechteckportal sowie ein achsial darüber angeordnetes Fensteroval eingelassen. Je drei kleine Maueröffnungen rechts und links des Eingangs lassen Licht in die Beichträume einfallen. Umgeben von zwei Grünflächen an Nord- und Ostseite sowie einem großen Kirchenvorplatz im Westen ist die Kirche durch ihre monumentalen, kräftigen Formen und ihren hohen Glockenturm weithin sichtbar. Dieser erhebt sich als separater Baukörper im Südosten zwischen Kirche und Pfarrhaus. Er trägt den dreigeschossigen Glockenstuhl als offene Stahlkonstruktion über einer mehrgeschossig geschlossenen Sockelzone mit nur kleinen Lichtöffnungen.

     

    Innenraum

    Friedland | St. Norbert | Innenraum | Foto: Rüdiger Maas

    Friedland | St. Norbert | Foto: Rüdiger Maas

    Der ebenfalls schlicht gestaltete Innenraum wird durch Materialwechsel, Lichteinfall und begrenzende Wandgestaltung rhythmisiert. Backsteinsichtiges Mauerwerk an Nordwand und im Altarraum wechseln mit Putz- und Betonflächen der Südseite. Längs ausgerichtete Deckenbalken setzen sich nahtlos bis in den seitlich durch zwei Mauervorsprünge leicht eingeschnürten Altarraum fort und betonen so die Wegerichtung des Raums. Das Seitenschiff öffnet sich zwischen schlichten Rechteckpfeilern und wird von kleinen Rechteckfenstern belichtet. Analog zum einseitigen Nebenschiff ist der Raum asymmetrisch durch ein mehrbahniges Chorfenster an der Nordseite und sechs je dreibahnige Rechteckfenster der Südseite belichtet. Die Kirchenbänke sind in zwei Blöcken mit einem zentralen Mittelgang aufgestellt.

  • Liturgie und Raum
    Friedland I St. Norbert | Taufkapelle | Foto: Bistum Hildesheim, Kirchliche Denkmalpflege

    Friedland I St. Norbert | Taufkapelle | Foto: Bistum Hildesheim, Kirchliche Denkmalpflege

    Der Entwurf des Architekten Friedrich Wagener basiert auf dem Ideal der Wegekirche, bei der die Gemeinde mit dem Priester an der Spitze auf den Altar als Schwelle hin ausgerichtet ist. Das einzelne Seitenschiff nimmt die Funktion des Zugangs und der Privatandacht ein. Taufe und Beichte sind im Westen der Kirche separat untergebracht. Altartisch und Ambonen wurden einst nach Entwürfen von Wagener aus Treuchtlinger Marmor gefertigt. 1974/75 wurde der Altarraum nach den Vorgaben des II. Vatikanischen Konzils von 1962 angepasst und unter künstlerischer Leitung von Claus Kilian umgestaltet. Die seitlichen Ambonen wurden abgebaut, das dreistufige Altarpodest aufgegeben. Der Altar wurde in die Mitte des Altarraums versetzt und ein bronzener Ambo nach Entwurf Kilians an der Nordseite des Altarraums aufgestellt. Die über dem Altar schwebende Doppelkrone aus Bronze vereint das Motiv von Dornen- und Königskrone. Der neue Tabernakel von Wilhelm Polders (1961), mit Türen aus versilbertem Metall, erhielt hinter dem Altar seinen Platz auf einer Marmor-Stele, die aus den Teilen der alten Ambonen gefertigt wurde. Das Ewige Licht ist eine Stiftung Konrad Adenauers.

    Ein silbergefasstes Standkreuz, das Theodor Heuss 1955 der Gemeinde stiftete, wurde 1963 entwendet und im Sommer 2019 unverhofft der Gemeinde zurückgegeben.

  • Ausstattung
    Friedland I St. Norbert | Ludwig Baur: Jonafenster | Foto: Bistum Hildesheim, Kirchliche Denkmalpflege

    Friedland I St. Norbert | Ludwig Baur: Jonafenster | Foto: Bistum Hildesheim, Kirchliche Denkmalpflege

    Kernstück der umfangreichen, künstlerischen Raumgestaltung ist der monumentale Glasfensterzyklus der südlichen Kirchenwand mit Szenen der Heilsgeschichte von Ludwig Baur (1904-1977). Das ovale Westfenster greift mit der Darstellung des Propheten Jona im Moment, da er von dem Walfisch an Land gespien wird, das Thema der Errettung aus der Not auf. Die 1955 entstandene, monumentale Heimkehrerskulptur außen auf der Ostseite der Kirche sowie vier Reliefs aus Kunststoffmasse im Innenraum (Der Soldat; Der tote Kamerad; Tod im Lager; Flucht vor dem Bolschewismus) stammen vom Bildhauer Fritz Theilmann (1902-1991). 1949 kehrte dieser Künstler über Friedland aus russischer Kriegsgefangenschaft heim und drückt in seinen Werken den persönlichen Bezug zu diesem Ort aus.

    Friedland I St. Norbert | Christa Adrian: Kreuzweg, Detail | Foto: Heller

    Friedland I St. Norbert | Christa Adrian: Kreuzweg, Detail | Foto: Heller

     

     

    Die Künstlerin Christa Adrian (1929-2003) schuf 1962 den 2018 restaurierten Kreuzweg an der Nordwand. Die Zeichnungen der goldgrundierten Bronzeplatten thematisieren in schonungsloser Brutalität das Leiden Christi. Ein weiteres, ebenfalls erst 2016 restauriertes Werk Adrians – die 1961 auf Goldgrund entstandene Szene Flüchtender mit dem Titel Arche – befindet sich im benachbarten St. Ansgar-Haus. Auch viele weitere Ausstattungsstücke widmen sich dem Thema Kriegsleid, Heimatlosigkeit und Flucht, etwa die Ölkreidezeichnung ‘Maria hinter dem Stacheldraht’ eines unbekannten Künstlers, die Bronzeskulpturen ‘Gefangener zu Füßen Mariens’ und ‘Sehnsucht nach Freiheit’ der Bildhauerin Yrsa von Leistner (1917-2008), das 1951 entstandene Altarbild der Vorgängerkapelle ‘Friedland unter dem Kreuz’ von Elena Mazzari sowie die textile Arbeit ‘Der Verlorene Sohn’ der Künstlerin Grete Badenheuer (um 1950). Das Taufbecken wurde 1955 nach einem Entwurf von Hein Minkenberg (1889-1968) aus Treuchtlinger Marmor gefertigt. 1975 erhielt es einen neuen, bronzenen Deckel von Claus Kilian. Bei der Orgel handelt es sich um eine Schleifladenorgel mit 2 Manualen und einem Pedal mit insges. 12 Registern, die 1975 von der Fa. Gebr. Stockmann (Werl) gebaut wurde.

  • Von der Idee zum Bau
    Friedland I St. Norbert | Foto: Bistum Hildesheim, Kirchliche Denkmalpflege

    Friedland I St. Norbert | Foto: Bistum Hildesheim, Kirchliche Denkmalpflege

    Das niedersächsische Friedland südöstlich von Göttingen erlangte nach Kriegsende Bedeutung als Heimkehrer-Auffanglager und Grenzdurchgangslager zwischen sowjetischer, britischer und amerikanischer Besatzungszone. Zentrale Person um die Entstehungsgeschichte von St. Norbert war der aus dem Erzbistum Köln stammende Pfarrer Dr. Josef Krahe (1914 – 2005), der 1947 von Kardinal Frings gebeten wurde, in Friedland zu wirken. Krahe verfolgte als zentrales Anliegen die Schaffung eines Ortes für die pastorale Betreuung der körperlich und seelisch verwundeten Heimkehrer vor allem aus russischer Kriegsgefangenschaft. 1946 war zunächst ein früherer Vorratsraum (Nissenhütte) und ab 1950 eine Holzbaracke provisorisch als Kapelle genutzt worden. Ab 1949 schon setzten unter aktiver Mitwirkung Krahes Planungen für einen Kirchenneubau (1. Entwurf von Rüdiger Nothdurft) in zentraler Position zwischen östlichem und westlichem Lagerteil ein. Die ursprüngliche Konzeption der Anlage als monumentales Gemeindezentrum ging wesentlich auf Krahe zurück. Das 1953 eingereichte Projekt des Architekten Friedrich Wagener zeigte eine großzügige Gesamtanlage mit westlichem Atrium und mehreren Nebengebäuden. 1954 wurden jedoch nur Pfarrhaus, Turm und Kirchengebäude realisiert, das bereits 1955 geweiht werden konnte. 1972/74 erfolgten umfangreiche Renovierungsarbeiten im Außenbereich, die das Dach, den Westgiebel und Turm sowie die Fenster betrafen. Renovierung und Umgestaltung des Innenraums schlossen sich 1974/75 an.

  • Der Architekt
    Friedland I St. Norbert | Foto: Bistum Hildesheim, Kirchliche Denkmalpflege

    Friedland I St. Norbert | Foto: Bistum Hildesheim, Kirchliche Denkmalpflege

    St. Norbert ist das einzige Kirchenprojekt des Architekten Friedrich Wagener (1921 – 1995). Es ist als Kooperationswerk in enger Zusammenarbeit mit dem Lagerpfarrer Josef Krahe entstanden. Der vor allem im nahen Göttingen wirkende Wagener, dessen Architektengruppe unter der Leitung seines Sohnes bis heute tätig ist, errichtete primär Geschäfts- und Wohnungsbauten. Namentlich bekannt sind beispielsweise der Leffers-Bau sowie das Iduna-Zentrum in Göttingen, die Beteiligung am Neuen Göttinger Rathaus und die Friedhofskapelle Geismar. So erscheint es bemerkenswert, dass Wagener ganz im Geiste der Zeit für St. Norbert auch wesentliche Teile des Inventars entwarf, wie den Altar, die Ambonen, Sedilien und das Gestühl, die Apostelleuchter und -kreuze sowie die Weihwasserbecken. In der gewählt schlichten Formensprache der Baukonstruktion und Fassadengestalt zeigt sich noch der neusachliche Einfluss der Zwischenkriegsjahre, während die bewussten Asymmetrien und die offene Gestaltung der Altarzone fortschrittliches Liturgie- und Pastoralverständnis demonstrieren.

  • Literatur (Auswahl)
    • Benedikt Crone: Grenzdurchgangslager Friedland, in: BAUWELT: Grenzdurchgangslager Friedland (Abruf: 20190710).
    • Jürgen Gückel: 60 Jahre Lager Friedland. Zeitzeugen berichten, Göttingen 2005.
    • Maria Kapp: Kath. Heimkehrergedächtniskirche St. Norbert Friedland, Regensburg 2011.
    • Dagmar Kleineke: Entstehung und Entwicklung des Lagers Friedland 1945 bis 1955, Diss. Universität Göttingen 1992.
    • Ulrich Knapp: Das Bistum Hildesheim und seine Kirchen, Straßburg 2002.
    • Kath. Kirchengemeinde Friedland (Hrsg.): 1955 – 1980. 25 Jahre Sankt Norbert Heimkehrerkirche, Friedland 1980.
    • Josef Nowak: Friedland. Lager der Barmherzigkeit, Hildesheim 1979.
    • Thomas Scharf-Wrede: Das Bistum Hildesheim im 20. Jahrhundert, Straßburg 2001.
    • Tag der Restaurierung: Die monumentalen Malereien von Christa Adrian im Grenzdurchgangslager in Friedland (Abruf: 20191120).

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Julia Niemann (Dr. des.), Hannover (Beitrag online seit 08/2019)

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